Döner in Wien: Dem Spieß auf der Spur
Döner-Verkäufer leiden unter viel Konkurrenz und Preisdruck. Ein Sandwich bekommt man mancherorts um 1,99 Euro, mit Getränk. Was bedeutet das für Gastronomie und Kunden?
Lukas Kapeller, Johannes Pucher | Der Standard
Wenn Taner Erdogan in der Früh seine Kebabspieße aus dem Tiefkühler holt, dann hat ihm der Weg zur Arbeit schon die Laune verdorben. Schräg gegenüber von seinem Laden in der Quellenstraße 68 verkauft ein afghanischer Imbisstand ebenfalls Kebab – um 2,50 Euro inklusive eines Getränks. Ein paar Meter weiter, an der Ecke zum Reumannplatz, treibt es ein Stand noch ärger: Hühnerkebab um 1,99 Euro, da ist eine Dose Pepsi oder ein Becher Ayran schon dabei.
“Alle bestellen Kebab, weil Kebab billig ist”, erklärt Erdogan später in einer Pause, das Leiberl durchgeschwitzt, eine Zigarette zwischen den Fingern. “Ein Hühnerkebab sollte nicht unter 3,50 Euro kosten und eins vom Kalb nicht unter vier Euro”, schimpft er. In seinem Lokal Baskent verkauft er aber selbst Hühnerkebab um nur 2,50 Euro, auch hier mit Getränk. “Die Konkurrenz ist zu groß”, sagt Erdogan, was solle er da schon machen?
Eine genaue Zahl der Kebabläden in Wien ist schwierig zu ermitteln. Das Marktamt, die MA 59, nennt auf Nachfrage 233 Imbissstände, die Kebab im Angebot haben. Mit allen Restaurants eingerechnet, in denen sich Dönerspieße drehen, dürfte die Gesamtzahl deutlich höher liegen. Allein im Bezirk Favoriten soll es etwa 130 Kebabverkäufer geben, wie eine türkischsprachige Zeitung vor zwei Jahren schrieb.
Die Quellenstraße in Favoriten weist dabei mit rund 25 Dönerläden (ohne Nebengassen) eine besonders hohe Dichte an Spießen auf. Man solle die Quellenstraße “doch bitte in Kebabstraße umbenennen, das habe ich am Bezirksamt schon vorgeschlagen”, sagt Erdogan und lächelt bitter. “Zumindest die Verkaufsstände sollen alle weg”, fordert er von der Stadt.
Wenn man mit Dönerverkäufern in der Quellenstraße spricht, erfährt man ein paar Grundregeln. Es wird weniger Kalbs- als Hühnerkebab verkauft, weil Huhn billiger ist.
Die besten Geschäftsmonate seien September bis November und Februar bis Mai, wenn keine Schulferien sind und die Hitze noch nicht den Hunger dämpft. Die Fleischspieße werden in aller Regel nicht im Lokal zusammengesteckt, sondern kommen morgens tiefgefroren vom Lkw geliefert. Wessen Tiefkühler ausreichend groß sind, wird auch nur ein- oder zweimal pro Woche beliefert.
So ist es auch bei Bülent Gül, dem Inhaber von Mis Kebab. Er verfüge über 23 Quadratmeter nur für Tiefkühlung, sagt er. In einem alten Backsteinhaus in der Davidgasse hat Gül, ursprünglich Maler und Anstreicher, seinen Kebabladen innerhalb von sieben Jahren zu einem der erfolgreichsten von Favoriten gemacht. Einmal in der Woche komme der Lkw eines Dönerproduzenten aus Waldburg in Baden-Württemberg und liefere rund 20 Spieße. “Ich messe die Temperatur bei der Ankunft selbst”, sagt Gül, “wenn sie nicht minus 18 Grad oder kälter sind, schicke ich sie zurück.” Er achte auf Qualität und verkaufe rund 300 Sandwiches am Tag, erzählt Gül, allerdings nicht zu Dumpingpreisen. Ein Kalbsdöner kostet bei ihm 3,90 Euro.
Am Wiener Naschmarkt hat kürzlich Wiens erster Bio-Kebabstand eröffnet, ein Döner mit Bio-Fleisch kostet 6,80 Euro. In der Quellenstraße folgen die Verkäufer einer anderen Philosophie – schneller, größer, billiger, lauter. Die Dönerläden hier versuchen, sich auch durch zusätzliche Speisen von der Konkurrenz abzuheben: In der Quellenstraße gibt es Kebabläden, die zusätzlich Brathendln, Pizza, Pasta, Schnitzel oder Ofenkartoffeln anbieten. Erdogan stopft in seine Kebabs zum Beispiel noch Pommes frites hinein, auch die sind für die 2,50 Euro dabei.
So billig, wie geht das?
Einen Kebab mit Softdrink um 2,50 Euro und noch billiger, wie geht das? Zum Beispiel können Döner-Verkäufer bei der Lokalmiete sparen. Imbissstände können deshalb billiger sein und machen den größeren Lokalen das Leben schwer. Günstiger wird ein Spießgastronom auch, wenn er selbst im Laden steht, oft an sechs oder sieben Tagen jede Woche.
Gespart werden kann natürlich auch beim Fleisch. Ein Ladenbesitzer in der Quellenstraße, der nicht genannt werden will, sagt: “Ich kaufe ein Kilo Huhn um drei Euro.” Mit einem Kilogramm könne er vier Kebabs füllen, ein Sandwich kostet bei ihm 2,80 Euro. “Mir bleibt ein Gewinn von zwei Euro pro Kilo Fleisch”, sagt der Geschäftsmann, “aber der könnte viel höher sein, wenn ich in der Quellenstraße weniger Konkurrenz hätte”. Ein Plus von zwei Euro pro Kilo Huhn, das sind rund 50 Cent Gewinnmarge pro Sandwich. Andere Kebabverkäufer geben diese mit nur 20 Cent an.
Muhammed Yalin ist leitender Mitarbeiter der Firma Dergast, eines großen Dönerspieß-Produzenten in Wien-Liesing. Allein in Wien liefere man jede Woche 25 Tonnen Fleisch aus, erzählt er. Über die Wiener Döner-Gastronomie sagt Yalin, das Fleisch stamme von ganz unterschiedlichen Produzenten. Viele Verkäufer wüssten selbst nicht genau, wo das Fleisch herkommt. “Wer am billigsten sein möchte”, sagt er, “kauft die Spieße aus Polen.” Die Karaoglan GmbH, die Muttergesellschaft von Dergast, beziehe ihr Hühnerfleisch jedenfalls von österreichischen Produzenten.
25 Tonnen Fleisch pro Woche
Im Dönerlokal Mangalet bei der U6-Station Josefstädter Straße kann sich Geschäftsführer Mustafa Ay über die Preise vieler Mitbewerber nur wundern. Ein Kebab bei Mangalet kostet 4,90 Euro. Dafür könnten die Kunden auch zwischen neun Salaten, sechs Saucen, zwei Käsesorten und Hummus auswählen. “Ich weiß nicht, wie Verkäufer kalkulieren, die einen Kebab um zwei Euro anbieten. Ich verstehe es nicht”, sagt Ay. “Tun die Esel- oder Pferdefleisch in ihren Kebab?”
Ay gibt zu, Mangalet habe einen Vorteil gegenüber anderen. Denn der hippe Kebabladen, den nachts die Partygänger aus den benachbarten Gürtellokalen besuchen, ist eine Tochter der türkischen Supermarktkette Etsan. Von dieser werde der Laden mit Gemüse, Broten und Saucen beliefert und könne seinen relativ hohen Verkaufspreis halten, ohne Abstriche bei der Qualität machen zu müssen.
Einzelkämpfer Taner Erdogan kann von solchen Bedingungen nur träumen. Von Montag bis Sonntag stehe er in seinem Geschäft. Früher habe er einen Stand am Nussdorfer Markt geführt, dort habe er einen Kebab um 2,80 Euro verkauft. “Das war 2008, heute verkaufe ich Kebab um 2,50 Euro”, erzählt er, “wie kann das sein?” Und wie erklärt Erdogan sich diese Ballung an Kebabständen in der Quellenstraße? “Schau”, sagt er, “Kebabmachen ist einfach, das kann jeder. Es gibt hier Stände, da kann der Verkäufer nicht einmal mit dem normalen Messer schneiden, sondern nur elektrisch.”
Teurer muss nicht besser sein
Es dürfte zwei einfache Gründe für die vielen Kebabläden in Favoriten und anderen Stadtteilen Wiens geben. Es ist zum einen küchentechnisch simpel, einen solchen zu betreiben, die Schwelle ist niedrig. Und es ist für viele immer noch rentabel. Doch die Kannibalisierung in der Kebabszene schreitet voran. “Es versucht halt jeder, sich abzuheben, und das vor allem über den Preis. Außerhalb von Wien findest du selten Döner für 2, 50 Euro”, sagt der Dönerspieß-Produzent Muhammed Yalin. Das bedeute natürlich auch: “Wenn ein Döner um vier Euro verkauft wird, ist nicht unbedingt besseres Fleisch drin, als wenn er 2,50 Euro kostet.”
© Bild: Heribert Corn