Warum jemand eher zum Superspreader wird
Einzelne Infizierte, die sehr viele Menschen anstecken, zählen zu den Treibern der CoV-Pandemie. Ob jemand zum Superspreader wird, liegt unter anderem an der Zahl der Kontakte und am Verhalten, könnte aber auch mit gewissen körperlichen Voraussetzungen zu tun haben – das legt zumindest eine Studie mit Menschen und Primaten nahe.
Tröpfchen spielen bei der Übertragung von SARS-CoV-2 und anderer Infektionskrankheiten eine entscheidende Rolle. Je mehr Tröpfchen, umso besser für die Viren. Sie entstehen, wenn man niest oder hustet, aber auch, wenn man lacht, singt oder einfach nur laut spricht – dann reißt der Atem kleinste Teilchen aus der Schleimhaut mit sich. Besonders Aerosole – winzigste Partikel – können in Innenräumen problematisch werden. Sie sind so leicht, dass sie lange in der Raumluft schweben. Das sind ideale Voraussetzungen für sogenannte Superspreading-Events, bei denen ein einzelner Infizierter viele – oft auch weit entfernte – Menschen ansteckt.
Große Unterschiede
Neben den räumlichen und sozialen Umständen könnte es aber auch am Infizierten selbst liegen, ob es tatsächlich so weit kommt, wie Forscherinnen und Forscher um David Edwards von der Harvard University in einer soeben im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Studie schreiben. Anders formuliert: Nicht jeder eignet sich gleichermaßen zum Superspreader, sondern nur jene Menschen, die besonders viele Tröpfchen bzw. Aerosole produzieren.
Bei Experimenten mit 194 gesunden Personen haben sich die Forscher auf die Suche nach möglichen Unterschieden gemacht. Wie sich herausstellte, waren diese tatsächlich beträchtlich: Die Aerosolproduktion zwischen einzelnen Individuen unterschied sich mitunter um drei Größenordnungen.
Wenige „Superspreader“
Ein Fünftel der Freiwilligen produzierte im Schnitt mehr als 156 Partikel pro Liter ausgeatmeter Luft und war damit für ganze 80 Prozent der gesamten Partikelmenge verantwortlich. Eine ähnliche 20/80-Verteilung nimmt man übrigens auch für CoV-Superspreader an: Zwanzig Prozent der Infizierten sollen für 80 Prozent der Ansteckungen verantwortlich sein. 18 Personen – die Hälfte „Superspreader“ im Experiment – produzierten laut den Studienautoren übrigens die allermeisten Aerosole.
Was macht eine Person nun zu einer potenziellen Virenschleuder? Die Forscher suchten nach möglichen Korrelationen. Das Geschlecht spielte demnach keine Rolle, wohl aber dasund das Gewicht bzw. der Body-Mass-Index (BMI). Ältere Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit höherem BMI produzierten deutlich mehr Aerosole als junge und schlanke Personen. Menschen unter 26 mit einem BMI unter 22 zählten laut der Studie alle zur Gruppe der „Lowspreader“ – das heißt, sie verteilen besonders wenige Partikel im Raum.
Viruspartikel werden kleiner
Welche Rolle Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2 spielen, hat das Team außerdem mit acht Primaten untersucht (Rhesusaffen und Grünmeerkatzen). Schon einen Tag nach der Infektion ließen sich in der Nasenschleimhaut Viren nachweisen. Die höchste Virenlast wurde am siebten Tag erreicht, zwei Wochen später war sie deutlich gesunken, und nach 28 Tagen war kaum noch ein Virus vorhanden. Äußerlich verlief die Krankheit bei den meisten Tieren so gut wie symptomlos.
Interessanterweise wurden die viralen Partikel mit fortschreitender Infektion immer kleiner, am kleinsten waren sie auf dem Höhepunkt der Krankheit. Genau diese kleinsten Teilchen können laut den Studienautoren besonders gefährlich sein: Sie bleiben länger in der Luft, verteilen sich besser und geraten tief in die Lungen, wenn man sie einatmet. Das lasse vermuten, dass Ansteckungen über Innenraumaerosole am Höhepunkt einer CoV-Infektion besonders wahrscheinlich sind, auch bei einem Abstand von mehr als zwei Metern und mit einfachem Mund-Nasen-Schutz.
Schleimhaut ist geschwächt
Die Forscher haben auch eine mögliche Erklärung für die Unterschiede in der Tröpfchenproduktion: Entscheidend sei die Beschaffenheit der Schleimschicht in den Atemwegen. Die chemische Zusammensetzung des Schleimstoffs ändere sich mit demund dem Gewicht, aber auch bei viralen und bakteriellen Infektionen. Dadurch können sich leichter kleine Tröpfchen aus der Oberfläche lösen.
Auch für den Tröpfchenproduzenten selbst können diese Schleimhautschäden gefährlich sein, denn beim Einatmen können die kleinen Partikel genauso gut tief in die eigene Lunge geraten, schreiben die Studienautoren. Das könnte zudem erklären, warum ältere und übergewichtigere Menschen häufig schwerer erkranken. Vielleicht, so die Forscher, wäre die Schleimhaut bzw. deren Stabilisierung sogar ein wirksamer Ansatzpunkt, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 und anderer Viren zu bremsen./ORF