„Wir haben Platz“
Die türkis-grüne Bundesregierung will keine geflüchteten Menschen aus Moria aufnehmen und beteiligt sich auch nicht an direktem Resettlement aus den Herkunftsländern. Die Folge: Elendslager als tickende Zeitbomben. Während in Griechenland, Bosnien und Spanien geflüchtete Menschen unter katastrophalen Umständen auf ihr Asylverfahren warten, müssen Hilfsorganisationen in Österreich ihre Unterkünfte schließen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Dei Volkshilfe berichtet.
Von Hanna Lichtenberger und Judith Ranftler
Monatelang wiesen NGOs, Journalist*innen und auch vereinzelte Politiker*innen auf die katastrophalen Bedingungen im Flüchtlingslager Moria hin.
Wer hinschauen wollte, wusste, dass mit einer Eskalation der Situation vor Ort zu rechnen war.
Aber die Bedingungen in dem Lager Moria, in dem Kinder, Familien, Männer und Frauen auf dem Boden schlafen mussten, sind kein Einzel- oder Unfall. Das zeigen Berichte aus Bosnien oder auch von der griechischen Insel Samos, wo vor wenigen Tagen ebenfalls ein Feuer ausbrach. Dass diese Lager in der Europäischen Union System haben, beweist die griechische Regierung mit dem neuen Lager Kara Tepe erneut.
NEUES CAMP „KARA TEPE“ IST NICHT BESSER ALS MORIA
Nach dem Brand des Flüchtlingscamps in Moria bauen die griechischen Behörden ein neues Camp namens Kara Tepe auf. Das neue Camp befindet sich auf dem Boden eines ehemaligen Truppenübungsplatzes und muss regelmäßig von Soldaten nach Landminen abgesucht werden, wie die NGO Mission Lifeline dokumentiert.
Die Zustände in Kara Tepe sind ebenso dramatisch wie in Moria. Die Aktivistin Doro Blancke, die selbst nach Lesbos gefahren ist, beschreibt schlimmste Zustände:
In dem Lager Kara Tepe gibt es keine Duschen, kein warmes Wasser und nur eine einzige Mahlzeit mit zwei Flaschen Wasser pro Tag, wofür sich die Geflüchteten bis zu vier Stunden anstellen. Die gesundheitliche Versorgung ist dramatisch.
So berichtet Blancke etwa von einer massiven Unterversorgung von Diabetiker*innen. Es gibt zu wenige Toiletten. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. In Zeiten der Pandemie sind sie eine direkte Bedrohung gegen die Geflüchteten.
„HILFE VOR ORT“ IST TROPFEN AUF DEM HEISSEN STEI
Die Hilfe vor Ort, mit der sich die Bundesregierung brüstet, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Zusätzlich werden die Menschen nach Nationalität getrennt – angesichts der Konflikt- und Kriegssituation in Syrien eine nicht nachvollziehbare Maßnahme.
Es wäre dringend geboten, die Menschen, die jahre- und monatelang unter diesen Bedingungen leben mussten, in die übrigen EU-Staaten zu holen, und ihnen ein Asylverfahren unter menschenwürdigen Bedingungen zu ermöglichen
Selbst dieser Minimalvorschlag wirkt unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen in Österreich utopisch, wenn sogar ablehnt wird, 100 Kinder hier aufzunehmen – obwohl die Bundesländer Wien und Kärnten bereits zugesagt haben, die Betreuung übernehmen zu können. Dieser Umstand lässt sprachlos zurück.
DIE VOLKSHILFE HAT ZIMMER FREI!
Wie viele andere Hilfsorganisationen ist auch die Volkshilfe Österreich mit der Situation konfrontiert, dass trotz des Bedarfs an Unterstützung für Griechenland, Italien oder Spanien geflüchtete Menschen nicht in Österreich ankommen.
Die Unterkünfte stehen leer. Wir schicken Expert*innen in der Betreuung von jungen Geflüchteten in die Arbeitslosigkeit.
Österreich beteiligt sich kaum an den planbaren Resettlement-Programmen des UNCHR und verhindert mit anderen Regierungschefs und –chefinnen einen europäischen Verteilungsschlüssel für jene Menschen, die an den Außengrenzen der EU ankommen. Dabei können solche Programme Menschenleben retten, wenn sie etwa dazu beitragen, dass Menschen nicht unsicheren Booten über das Mittelmeer fliehen müssen. Dazu kann sich insbesondere die Volkspartei nicht durchringen, sie wechselt lieber politisches Kleingeld auf Kosten von Schutzsuchenden.
MORIA ALS AUSDRUCK DES EUROPÄISCHEN GRENZREGIMES
Zu Recht wird in regelmäßigen Abständen darauf verwiesen, dass der untragbare Zustand eines Friedensnobelpreisträgers – wie es die EU seit 2012 ist – unwürdig ist.
Moria ist das Ergebnis einer Politik, die von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bewusst in Kauf genommen wird. Moria dient zur Abschreckung, zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung des Grenzregimes.
Die ökonomisch starken Länder der Europäischen Union putzen sich in ihrer Verantwortung auch an der griechischen Bevölkerung ab – denn 2011 lebten auf der Insel Lesbos 86.436 Einwohner*innen, die zu einem großen Teil vom Tourismus leben. Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn z.B. das ähnlich große Salzburg eine vergleichbare Zahl von Geflüchteten unterbringen müsste.
Die europäischen Regierungsspitzen haben kein Interesse, die Zustände in den europäischen Flüchtlingscamps an den Grenzen substantiell zu verbessern.
Die aktuell in Brüssel vorgestellte Migrationsstrategie reiht sich in die Diskursverschiebung ein, indem „Solidarität“ bedeutet, Kosten für Abschiebungen zu finanzieren. Pro Asyl warnt vor einer massiven Einschränkung der Grundrechte von Schutzsuchenden.
DIE GRENZE DES SAGBAREN VERSCHIEBT SICH IMMER MEHR
Der österreichische Bundeskanzler allerdings kann im Flüchtlingsthema zeigen, was er in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht unter Beweis stellt: Entschlossenheit.
Vielmehr lässt sich Kurz vor den Wagen der autoritären Regierungschefs der Viségrad-Staaten spannen und profiliert sich, indem er ihnen die Drecksarbeit abnimmt. Die jahrelange Stimmungsmache gegen Geflüchtete hat das politische Terrain in Österreich im Gesamten weit nach rechts verschoben.
Das zeigt sich auf europäischer Ebene etwa daran, dass Österreich den UN-Migrationspakt nicht unterzeichnete. Die Debatten-Beiträge von ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten in der September-Nationalratssitzung zeugen von der verschobenen Grenze des Sagbaren in der österreichischen Flüchtlingsdebatte.
WIR HABEN PLATZ!
Österreich gehört zu den reichsten Ländern der Welt.Wir haben nicht nur die finanziellen Ressourcen zu helfen, sondern auch das zivilgesellschaftliche Engagement, wenn Menschen vor Krieg und Elend aus ihren Heimatländern fliehen müssen.
2015 haben tausende Österreicher*innen geholfen. Viele von ihnen sind bereit, wieder zu helfen. Und auch die Volkshilfe hat Platz und ist bereit, sich sofort an der Unterbringung und Versorgung jener Menschen zu beteiligen, die jetzt besonders rasch unsere Unterstützung brauchen.
Hanna Lichtenberger und Judith Ranftler arbeiten bei der Volkhilfe Österreich zu sozialpolitischen Themen. / kontrast.at