Es ist wieder da
Wir sind in der Pflicht, Widerstand zu leisten: In Österreich lässt eine bürgerliche Partei die Nationalisten am rechten Rand rumtoben.
Marlene Streeruwitz
Der Text basiert auf einer Rede, welche die österreichische Schriftstellerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz bei der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Ebensee gehalten hat.
In Österreich: Am 21. Juli des vorigen Jahres teilte der FPÖ-Verkehrsminister über die Kronen Zeitung mit, dass ab 2019 Führerscheinprüfungen nicht mehr in türkischer Sprache abgelegt werden dürfen.
In der Kronen Zeitung.
Hinter dem Bild des FPÖ-Verkehrsministers ist eine Frau im Hidschab am Steuer eines Autos zu sehen. Der Verkehrsminister schaut streng.
Die Frau lächelt.
“Das bisherige Angebot, die Führerscheinprüfung in Türkisch abzulegen, diskriminiert auch andere ethnische Minderheiten, die den Test in Chinesisch, Arabisch oder Albanisch übersetzt haben wollten”, sagt der FPÖ-Minister.
Es gibt keine demokratische Lesart für den Satz des FPÖ-Verkehrsministers. Der FPÖ-Verkehrsminister konstruiert erst eine Privilegierung der türkischen Führerscheinprüfung, doch es gab nie ein Privileg dieser Art.
Es war ein selbstverständlicher Verwaltungsvorgang.
Es war nur vernünftig, die Fahrprüfung in der je bestverstandenen Sprache abzunehmen. Das Verbot der Führerscheinprüfung auf Türkisch ist ein Willkürakt des FPÖ-Verkehrsministers. Die lächelnde Muslimin im Bild ist der entscheidende Hinweis.
Es geht um Antiislam.
Fremdenfeindlichkeit.
Antisemitismus.
Die FPÖ plakatierte schon vor Jahren den Slogan “Daham statt Islam!”.
Türkisch muss dem Deutschen Platz machen.
Deutsch. Deutsch sprechen. Das findet sich im Linzer Programm der Schönerer-Partei 1882 zunächst als Abgrenzungsmerkmal gegen die slawischen Sprachen.
Damals in Zisleithanien.
In Paragraf II des Programms wird verlangt, “daß der gesamte innere Amtsverkehr sowie die öffentlichen Bücher und Protokolle ausschließlich in deutscher Sprache geführt werden”.
Deutsch sprechen.
Das sollte den “deutschen Charakter” beweisen.
1885 fügte Georg von Schönerer an das Linzer Programm jenen Punkt an, in dem er die Beseitigung allen jüdischen Einflusses im öffentlichen Leben verlangte.
Der deutsche Charakter Zisleithaniens war antisemitisch gedacht worden.
Dieser deutsche Charakter wurde in der K.-u.-k.-Monarchie von allen bürgerlichen Parteien mitsamt dem Rassenantisemitismus übernommen. Antisemitismus war das wichtigste Mittel der Wahlkampfführung.
1888 schlossen sich Deutschnationale und Christlichsoziale zu den “Vereinigten Christen” zusammen.
1893 gründete Karl Lueger die Christlichsoziale Partei, die mit antisemitischen Argumenten Politik machte.
Antisemitismus führte zum Erfolg der Christlichsozialen in den ersten allgemeinen Wahlen für Männer 1907 in Zisleithanien.
In Wien hatte Lueger sich damit längst durchgesetzt.
Deutsch. Deutsch sprechen.
Darin war die germanische Abstammung enthalten, die sich so dringlich über alle anderen Nationalitäten der Monarchie erheben wollte.
In dieser deutschnationalen Logik fügt es sich heute, dass gerade ein Gesetz beschlossen wird, in dem die FPÖ-Sozialministerin 300 Euro von der Sozialhilfe abziehen kann, wenn nicht gut genug Deutsch gesprochen wird.
Der FPÖ-Verkehrsminister kehrt mit der Verwaltungsmaßnahme, Türkisch zu verbieten, zum Linzer Programm zurück.
Wenn in identitären Blogs Elfriede Jelinek “Jüdin” genannt wird, dann werden wir endgültig an die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 und das Ehegesundheitsgesetz vom 18. Oktober 1935 in der Fassung für Österreich im “Ersten Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Einführung deutscher Reichsgesetze in Österreich vom 15. März 1938” erinnert.
Immer noch und weiterhin wird mit der Bezeichnung “Jüdin” der Ausschluss aus dem Staat verstanden. Der Verlust aller Rechte und allen staatlichen Schutzes wird mit dieser Bezeichnung wiederholt.
Am Akademischen Gymnasium in Wien steht auf einer Gedenktafel zu lesen: “Wir erinnern uns an jene Schüler und Lehrer, die 1938 die Schule verlassen mußten, weil sie Juden waren.”
Der faschistische Mann
Über den Holocaust wird in Österreich geredet, als handelte es sich um eine Naturkatastrophe.
Doch Demokratie kann es nicht geben, wenn der Blick auf die Geschichte idealistisch vernebelt wird.
Und darum geht es.
Es geht um die Erinnerung.
Geschichtliche Erinnerung.
Persönliche Erinnerung.
Das ist der Schauplatz jeder Gegenwart.
Und der eigentliche Ort des Lebens.
Das wird der eigentliche Ort des Lebens gewesen sein.
Jeden Augenblick lang.
Wie das eigene Leben im Allgemeinen verwoben gewesen war.
Kollektiv.
Und einzeln.
Darüber tobt der Kampf.
Das ist der Gegenstand der Politik.
Erinnerung existiert nur in der Wahrnehmung der einzelnen Person, kein Lehrsatz idealistisch gedachter Identitäten kann das ändern.
Wenn in Rom Rechtsradikale das Essen für Roma niedertrampeln und dazu schreien “Du sollst an Hunger sterben!”, dann ist das Verhungern von Einzelnen gemeint.
Diese Personen sollen einzeln leiden und sterben, während die Täter sich in identitärer Zugehörigkeit in Sicherheit gehalten sehen – und in der konstruierten Kollektivität der Erinnerung völkischer Überlegenheiten.
Im System der Hausväter
Der faschistische Mann ist das Ergebnis jahrhundertelanger reaktionärer Politik (im Faschismus ist die Frau immer in der männlichen Bezeichnung mitgedacht).
Von 1811 bis 1975 war dem Untertan im Code Napoléon die Familie zur Beherrschung überlassen gewesen.
Von der Frühaufklärung an war der Untertan angehalten, eine öffentliche Version von sich für den Dienst im Staat als Beamter oder Militär bereitzustellen.
Als Hausvater konnte er über Frau und Kinder und Angestellte verfügen.
Das Eherecht war der katholischen Kirche überlassen gewesen.
Der Hausvater konnte sich nicht scheiden lassen.
Die Politik in Monarchie und Erster Republik Österreich war von den Auseinandersetzungen um das Familienrecht und die Scheidung beherrscht und zerrüttet.
Im faschistischen Mann wird dann die Grenze zwischen liberaler öffentlicher Person und privaten hausväterlichen Meinungen aufgehoben.
Die antisemitischen Ausfälle beim Sonntagsmittagessen wurden Blaupausen der Wahlkampfauftritte.
In der österreichischen Verfassung im Artikel 7 heißt es: “Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich.
Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.”
Deshalb lauern die Hausväter und beobachten, ob einer mehr bekommen hat. Ob ein Vorrecht vorliegt.
Und wie im Fall des Türkischverbots werden Vorrechte überall vermutet.
Vorrechte, die für Ausschluss und Verbot benutzt werden können – wie schon Ende des 19. Jahrhunderts.
Zwar verlaufen die Schichtungen ein wenig anders, weniger offen.
Aber die bürgerlichere Partei lässt die nationalistischere Partei am rechten Rand herumtoben.
Ganz in der Art des Hausvaters, der sich am Sonntagsmittagstisch über alles aufregen muss, weil er so machtlos gemacht ist.
Ganz in dieser Art wird von der FPÖ die sadistische Politik gemacht, und die ÖVP sitzt daneben und genießt die Gewalt gegenüber den Ausgesonderten.
Den Kronen-Zeitungs-Lesern wird das jeden Tag geliefert. In der identitären Blogosphäre gilt die Spaßfrage “Ist das lustig, oder tut das weh?”, und die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 finden wieder Anwendung.
Es geht immer um die gelebte Erfahrung einzelner Personen.
Der Versuchung, ein nationales Schicksal zu behaupten, muss widerstanden werden.
Wir müssen endlich lernen, im Reden über die Opfer wenigstens alle staatsbürgerlichen Rechte und Bezeichnungen vollkommen zu restituieren und die üblich gemachten nationalsozialistischen Redeweisen aufzudecken und zu beenden.
Das Ziel wäre gewesen, dem Wiederholen zu entkommen und Sprache und Kultur radikal infrage zu stellen.
Das Ziel wäre gewesen, das Trauma nicht als schwelende Erinnerung, sondern als gefasstes Wissen bearbeiten zu können.
Das hat nicht stattgefunden.
Wir sprechen weiterhin in der Grammatik, die die Schoah gesprochen hat.
Die wenigen lexikalischen Tabus werden gerade außer Kraft gesetzt. “Ist das lustig, oder tut das weh?”
Wenn eine Katastrophe wie die Schoah hergestellt werden konnte, dann ist es eine notwendige Pflicht, jeden Augenblick Widerstand zu leisten – gegen die kleinste Wiederholung jener Umstände, die zu den Verbrechen geführt haben.