Ein Überblick auf die von dem Ibiza-Video ausgelösten Ermittlungen
Seit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos hat sich die österreichische Politik verändert – auch weil sich die Arbeit für Staatsanwaltschaften bis heute immer weiter häuft.
Alle Ermittlungsstränge zu beschreiben, die das Ibiza-Video zumindest indirekt ausgelöst hat, ist eine irrwitzige Aufgabe. Das heißt aber nicht, dass man es nicht versuchen sollte. Denn nur so wird klar, welcher Dammbruch jene sieben Minuten waren, die “Süddeutsche Zeitung” und der “Spiegel” am 17. Mai 2019 online stellten.
Teils wurden Verfahren anhand des Videos selbst eingeleitet, teils kam es zu anonymen Anzeigen. Die größte Rolle spielen aber sogenannte Zufallsfunde: also Verdachtsmomente, auf die Ermittler im Rahmen von anderen Untersuchungen gestoßen sind – Stichwort Chats. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Die Ereignisse auf Ibiza selbst sind nicht strafbar, das stellt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) rasch fest. Die beiden FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus waren im Juli 2017, als sie mit der falschen Oligarchennichte über Korruption fantasierten, keine Regierungsmitglieder. Zwar sinnierten sie darüber, was sie in wenigen Monaten als Teil einer türkis-blauen Regierung tun könnten, vom Strafrecht erfasst sind derartige Versprechungen aber nicht. Eine Gesetzeslücke, wie die WKStA feststellt – an deren Reparatur seitdem gearbeitet werden soll.
Verfahren gegen die Hintermänner
Konsequenzen hat der Abend hingegen für die sogenannten Hintermänner des Videos, konkret Julian Hessenthaler. Er war auf der Finca dabei, Strache zeigte ihn wegen des Missbrauchs von Abhörgeräten, Urkundenfälschung und Täuschung an. Die Ermittlungen übernahm ein Polizist, der Strache freundliche SMS schickte. Rasch wurden Hessenthaler Drogendelikte vorgeworfen, er wurde deshalb im Frühjahr 2022 nicht rechtskräftig verurteilt, wie “derstandart.at” berichtet. Auch frühere Mitarbeiter von ihm fassten Verurteilungen aus. Gegen Anwalt Ramin M., den mutmaßlichen Financier des Videos, wird nach wie vor ermittelt. Rund um dieses Verfahren gibt es zahlreiche Anzeigen und Ermittlungen. Eine Geldbuße setzte es für Maklerin M., die Strache und Gudenus mit der falschen Oligarchennichte bekanntgemacht hatte. Sie filmte Letztere heimlich und verschwieg das den Ermittlern. Gegen SPÖ-Mitglieder wurde ermittelt, weil sie eine Wette auf Neuwahlen abgeschlossen hatten – die Staatsanwaltschaft Wien vermutete, das sei wegen Insiderwissens über das Ibiza-Video erfolgt. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
Themenkomplex Vereine
Weil Strache auf Ibiza darüber sprach, dass Geld “am Rechnungshof vorbei” über Vereine an Parteien geschleust werden könnte, wurden rasch unterschiedliche Initiativen geprüft. Die WKStA ermittelte gegen FPÖ-nahe Vereine wie “Austria in Motion” und deren Vorstandsmitglieder, stellte den überwiegenden Teil der Verfahren aber ein. Auch die meisten anonymen Anzeigen in diesem Zusammenhang bleiben ohne Konsequenzen. Noch offen ist das Verfahren rund um das blaue “Institut für Sicherheitspolitik”, das Geld von der Novomatic und vom Verteidigungsministerium erhalten hatte. In diesem Zusammenhang zu sehen ist auch das von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka gegründete Alois-Mock-Institut, das unter anderem von der Novomatic unterstützt wurde. Die WKStA prüfte Ermittlungen, stellte aber fest, dass allenfalls relevante Vorfälle verjährt seien.
Themenkomplex Spesen
Kurz nach dem Ibiza-Video, dessen Hintermänner gut mit Straches Bodyguard R. bekannt sind, kamen gegen den einstigen FPÖ-Chef Vorwürfe falscher Spesenabrechnungen auf. Ermittelt wird bis heute, auch gegen Straches Ehefrau Philippa. Das Verfahren rund um den Erhalt von Bargeld aus der Ukraine, mit dem Oligarchen mutmaßlich ein Nationalratsmandat für den Unternehmer Thomas Schellenbacher gekauft hatten, wurde hingegen eingestellt – Mandatskauf ist bislang nicht strafbar, Untreuevorwürfe gegen Strache erhärteten sich nicht.
Causa Casinos
Der Urahn der allermeisten Verfahren ist die Causa Postenschacher Casinos. Vereinfacht zusammengefasst geht es hier um die Frage, ob der Vorstand der teilstaatlichen Casinos Austria AG (Casag) vorzeitig aus politischen Gründen (Stichwort Peter Sidlo) abgelöst wurde und ob es hierzu im Hintergrund Deals zwischen den Anteilseignern, also Republik und Novomatic, gegen den Miteigentümer Sazka gegeben hat. Kurz nach Erscheinen des Ibiza-Videos ging hierzu eine anonyme Anzeige bei der WKStA ein, darauf folgten umfassende Ermittlungen und Hausdurchsuchungen unter anderem bei Strache, Gudenus, Novomatic und deren Managern und Gründer und später auch beim damaligen Chef der Staatsholding Öbag, Thomas Schmid. Dort fanden die Ermittler dann ein Backup mit hunderttausenden Whatsapp-Chats, durch deren Auswertung dann zahlreiche andere Verdachtsmomente entsprungen sind. In der Causa Casinos wird bis heute ermittelt.
Causa Geldgeschenke
Die Hausdurchsuchungen lösen eine Fülle von anderen Ermittlungen aus: Bei Novomatic-Gründer Johann Graf wird beispielsweise eine Liste gefunden, auf der Geldgeschenke an Teile der Mitarbeiterschaft und Verwandte dokumentiert sind. Eine der Beschenkten, Grafs Großnichte, ist zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiterin bei Wolfgang Sobotka, später bei Karl Nehammer im Innenministerium. Die WKStA ermittelt wegen Abgabenhinterziehung, zumindest gegen Grafs Verwandte wird eingestellt.
Causa Grubmüller/Premiqamed
Ganz zu schweigen von den Smartphones: Allein die Chats von Heinz-Christian Strache führen in letzter Konsequenz zu zwei Anklagen. Ermittler entdeckten intensive Kommunikation zwischen Strache und Walter Grubmüller, dem Besitzer einer Privatklinik, die um Aufnahme in den Privatklinikfinanzierungsfonds (Prikraf) kämpfte. Strache versprach, zu helfen und fragte Grubmüller: “Welches Gesetz brauchst du?” Außerdem brachte die FPÖ noch in Opposition im Parlament einen Initiativantrag zu der Sache ein, später spendete Grubmüller offiziell Geld an die Partei. Eine Richterin sah in diesen beiden Vorgängen eine Verbindung und verurteilte Strache nicht rechtskräftig wegen Bestechlichkeit, Grubmüller wegen Bestechung.
Rund um den Prikraf ermittelte die WKStA auch, ob Spenden des Klinikbetreibers Premiqamed an die ÖVP kriminell waren. Deren Aufsichtsratsvorsitzender war einst Hartwig Löger am Tag seiner Angelobung als Finanzminister erinnerte die ÖVP die Premiqamed an die vereinbarte Spende. Später profitierte das Unternehmen von der Erhöhung des Prikraf-Volumens. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Gegen Strache lief ein Verfahren in ähnlicher Ausgangssituation rund um den Poker-Unternehmer Peter Zanoni, hier wurde eingestellt.
Causa Stieglitz
Ähnlich sind die Vorwürfe in der Sache Stieglitz: Der Unternehmer Siegfried Stieglitz spendete mehrfach an FPÖ-nahe Vereine und vermietete der Partei seinen Bus für deren Wahlkampf, während Türkis-Blau wurde er Aufsichtsratsvorsitzender der Asfinag. Ermittelt wurde deshalb gegen Verkehrsminister Norbert Hofer, dieser Strang wurde jedoch eingestellt. Angeklagt wurde jedoch Strache, weil er Stieglitz nicht sofort absagte, als ihn der zu einer Geburtstagsfeier nach Dubai einlud. Erst nach einigen Wochen schlug Strache “wegen Compliance” die Einladung aus. Ein Prozess steht deshalb vermutlich im Sommer an.
Causa Schreddern
Rasch nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos wurde klar, dass die von der ÖVP zusammengestellte Nachfolgeregierung keine parlamentarische Mehrheit erhalten und Sebastian Kurz als Kanzler im Nationalrat “abgewählt” werden würde. Bei den Vorbereitungen für einen etwaigen Auszug aus dem Kanzleramt ließ ein enger Mitarbeiter von Kurz auf Anweisung eines Kabinettmitarbeiters Festplatten unter falschem Namen bei der Firma Reißwolf schreddern. Die Rechnung bezahlte er nicht, deshalb zeigte ihn das Unternehmen an. Bis heute wird darüber gerätselt, was sich auf den Festplatten befunden hat.
Die Ermittlungen gegen den “Schredderer” wanderten auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien von der WKStA zur StA Wien. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte sich zuvor darüber beschwert, das sein Polizist das Smartphone des Schredderers nicht sichergestellt hatte. Dieser Ermittler war jenes Mitglied der Soko Tape, das Strache freundschaftliche SMS geschrieben hatte – und früher hatte er auch auf lokaler Ebene für die ÖVP kandidiert. Später wurde nach Anzeigen der Opposition auch gegen zwei weitere Mitarbeiter des Kanzleramts ermittelt, es folgte eine komplette Einstellung des Verfahrens.
Causa Hack und gefälschte E-Mails
Der Wahlkampf 2019 wurde mit der Schredderaffäre eingeleitet, das war aber nur der erste von vielen mysteriösen Vorfällen. Ein merkwürdiger IT-Experte prahlte damit, viele E-Mails von Kurz und unter anderem Gernot Blümel gestohlen zu haben dabei handelte es sich jedoch um Fälschungen. Das Verfahren gegen diesen Mann wurde aus Beweisgründen eingestellt. Dann drangen aber authentische Dokumente an die Öffentlichkeit: Sie zeigten bislang unbekannte Großspender wie Heidi Horten und Details aus der internen Buchhaltung der ÖVP. Die Spur dieses Hackerangriffs soll sich in Frankreich verloren haben. Dieses Verfahren wurde abgebrochen, also gewissermaßen pausiert.
Causa Öbag/Falschaussage
Ende 2019 hatte die WKStA dann erste Chats aus den sichergestellten Mobiltelefonen ausgewertet. Die Nationalratswahl hatte eine türkis-grüne Mehrheit hervorgebracht, die Opposition rasch einen Ibiza-U-Ausschuss beschlossen. Pandemiebedingt startete der erst im Frühsommer 2020, da allerdings ausgerüstet mit vielen Chats aus der Ära Türkis-Blau. Ihre Aussagen vor dem U-Ausschuss hatten für viele Personen ein Nachspiel, für manche ein folgenreiches. Strafantrag wegen des Verdachts auf Falschaussage vor dem Ibiza-Ausschuss gibt es bislang einen, und zwar gegen Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Ermittelt wird gegen den suspendierten Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek.
Das wohl berühmteste Verfahren ist jenes gegen Sebastian Kurz: Es wurde im Mai 2021 eingeleitet, als er noch Kanzler war. Da geht es um die Art und Weise, wie Thomas Schmid vom Generalsekretär im Finanzministerium zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag wurde. Die Angelegenheit war politisch peinlich, weil Schmid am Ausschreibungstext für die Stelle mitarbeitete, für die er sich dann bewarb. Auch beim Rekrutieren von Aufsichtsratsmitgliedern, die ihn dann als besten Bewerber auswählten, machte Schmid mit.
Viele Personen aus dem Team rund um Kurz mischten im Hintergrund bei der Öbag mit. Die WKStA verdächtigt den Altkanzler, dem U-Ausschuss Vorgänge verheimlicht zu haben. Ermittelt wird dazu auch gegen seinen ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli und gegen Schmid selbst in anderer Sache gegen Blümels früheren Kabinettschef Clemens-Wolfgang Niedrist. Ermittelt wird auch gegen Casag-Chefin Bettina Glatz-Kremsner, da geht es auch um Aussagen vor der Staatsanwaltschaft. Einen Strafantrag gibt es diesbezüglich gegen Schmids einstige Assistentin. Auch einen früheren roten Funktionär erwischte es rund um Aussagen zu Angeboten der Ibiza-Hintermänner.
Zahlreiche andere Verfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage wurden eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen. Zu nennen sind hier Ex-Finanzminister Gernot Blümel (der sich mehr als achtzigmal nicht erinnern konnte), Wolfgang Sobotka, Ex-Soko-Tape-Chef Andreas Holzer, FPÖ-Verhandler Arnold Schiefer, die frühere Thinktank-Chefin Antonella Mei-Pochtler.
Causa Aktenlieferung
Neben den vielen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Falschaussage produzierte der Ibiza-Ausschuss selbst auch ein anderes Verfahren. Da ging es um die Frage, ob der damalige Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) vorsätzlich die Lieferung von Akten aus seinem Ministerium verzögern ließ, was Amtsmissbrauch wäre. Die Opposition hatte ja mehr Akten aus dem Finanzressort verlangt, der Verfassungsgerichtshof (VfGH) gab ihr Recht. Doch Blümel wollte noch mit dem U-Ausschuss über die Art und Weise der Lieferung “verhandeln” und schaltete dafür Finanzprokuratur-Präsident Wolfgang Peschorn ein. Es kam zu keiner Einigung, schließlich eskalierte der Vorgang bis hin zu einer Exekution des Erkenntnis durch den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Gegen Blümel und Peschorn wurden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch geprüft, diese dann aber wieder verworfen.
Causa Blümel
Blümel hatte da schon ganz andere juristische Probleme, nämlich Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bestechung. Es war der bis dahin spektakulärste Fund auf sichergestellten Handys in der Causa Casinos gewesen: Ein SMS vom damaligen Novomatic-Chef Harald Neumann an Blümel, in dem dieser um die Vermittlung eines Termins bei Sebastian Kurz bat. Thema: Ein Problem der Novomatic in Italien sowie eine “Spende”. Kurz war damals noch Außenminister und gerade auf dem Weg zur Kanzlerschaft, Blümel sein Vertrauter. Die WKStA vermutet, dass Neumann Kurz bestechen wollte und Blümel ihm durch Weitertragen des Angebots dabei half. Im Februar 2021 führten Ermittler deshalb eine Hausdurchsuchung bei Blümel durch, es ist die Razzia mit dem berühmten Laptop im Kinderwagen, der in Wahrheit aber eine Wickeltasche war. Ermittelt wird bis heute. Ein anderes Verfahren rund um angebliche Spenden an die ÖVP betrifft Justizsprecherin Michaela Steinacker: Ihre Anstellung bei einem Unternehmen im Raiffeisen-Kosmos soll eigentlich der ÖVP gedient haben, weil Steinacker in ihrer Arbeitszeit vor allem politisch tätig war.
Causa Benko
Viel Aufregung gab es auch rund um jene Chats, die Staatsanwaltschaften exklusiv für den U-Ausschuss auswerten mussten. Verantwortlich dafür war eine Richtungsentscheidung des Verfassungsgerichtshofs. So gelangten beispielsweise Nachrichten zwischen Thomas Schmid und Milliardär René Benko sowie zwischen Schmid und seinen Assistenten an die Öffentlichkeit. Darin wurde angedeutet, dass Schmid Schützenhilfe bei Benkos Übernahme von Kika/Leiner geleistet hatte. Die WKStA prüfte einen Anfangsverdacht, leitete aber keine Ermittlungen ein.
Causa Wöginger
Auch den aktuellen Klubobmann der ÖVP erwischte es durch einen Schmid-Chat: August Wöginger soll bei dem damaligen Finanz-Generalsekretär interveniert haben, um einen Wunschkandidaten zum Chef eines oberösterreichischen Finanzamts zu machen. Eine besser qualifizierte Kandidatin ging leer aus und beschritt den Rechtsweg ihr wurde Recht gegeben. Die WKStA prüft nun wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch respektive Amtsmissbrauch.
Causa Umfragen/Beinschab/Karmasin
Der wohl spektakulärste Verfahrensstrang wurde am 6. Oktober 2021 publik: Da durchsuchten Ermittlerinnen und Ermittler Privatwohnungen, die ÖVP-Zentrale, das Finanzministerium, das Bundeskanzleramt und die Mediengruppe “Österreich”. Es handelt sich um die Causa Umfragen/Beinschab, die letztlich zum Rücktritt von Sebastian Kurz als Kanzler und ÖVP-Chef geführt hat. Wieder einmal ergeben sich die Verdachtsmomente aus Chats, die durch frühere Ermittlungsmaßnahmen erlangt worden waren.
Der Grundvorwurf in der Causa: Das Team rund um Sebastian Kurz soll, als dieser auf dem Weg zur ÖVP-Spitze war, Umfragen bei der Meinungsforscherin Sabine Beinschab angeleiert haben. Vermittelt worden sei das durch Ex-Ministerin und Demoskopin Sophie Karmasin, Beinschabs frühere Chefin. Bezahlt seien die Umfragen, die parteipolitische Inhalte hatten, auch aus Geldern des Finanzministeriums worden. Beinschab soll dort Scheinrechnungen gelegt haben. Diese Umfragen seien bei der Mediengruppe “Österreich” platziert worden, wo sich das Team Kurz ein redaktionelles Mitspracherecht durch einen Inserate- und Medienkooperationsdeals des Finanzministeriums erkauft habe.
Das Modell sei bis zuletzt gelaufen, mitgemischt hätten Sprecher und Berater von Sebastian Kurz zu Gunsten des damaligen ÖVP-Chefs. Abgefragt wurde damals, im Wahlkampf 2017, auch der Blick auf die SPÖ und deren Wahlkampfberater Tal Silberstein. Weil der EU-Abgeordnete Paul Rübig von Schmid mehr Informationen zu etwaigen Ermittlungen gegen Silberstein haben wollte, wird gegen ihn wegen der versuchten Anstiftung zum Amtsmissbrauch ermittelt. Auch Schmid ist wegen der Weitergabe von Silberstein-Infos Beschuldigter, da geht es um interne Kommunikation.
Die meisten Beteiligten bestreiten die Vorwürfe in der Causa Umfragen, Beinschab hat jedoch ein Geständnis abgelegt, um Kronzeugin zu werden. Im Laufe der Ermittlungen kamen noch weitere Verdachtsmomente auf, vor allem gegen Karmasin: Sie soll die Republik rund um ihre damalige Gehaltsfortzahlung als Ministerin getäuscht haben, außerdem Beinschabs Unternehmen als Vehikel für eigene Arbeit genutzt haben. Deswegen wird auch wegen des Verdachts auf Geldwäsche ermittelt. Beinschab eröffnete den Ermittlern, dass Karmasin sie und eine weitere Demoskopin gebeten habe, Scheinangebote an das Sportministerium zu legen, um selbst das beste Angebot vorweisen zu können. Ein weiterer Verfahrensstrang betrifft ein Leitbild für das Wirtschaftsministerium, das Karmasin erstellt hat: Das soll teuer, aber mickrig gewesen sein, was Ministerium und Karmasin bestreiten. Die WKStA prüft deshalb einen Anfangsverdacht gegen die frühere Wirtschaftsstandortministerin Margarete Schramböck.
Causa Wolf
Kurz nach der Causa Umfragen drangen die nächsten spektakulären Ermittlungen an die Öffentlichkeit. Die WKStA wirft dem Unternehmer Siegfried Wolf vor, mit der Hilfe von Thomas Schmid eine Finanzbeamtin bestochen zu haben, um weniger Steuern nachzahlen zu müssen. Schmid habe im Hintergrund interveniert, damit sich der Karrierewunsch der Beamtin erfülle, denken die Ermittler. Chats zeigen, dass Wolf oftmals beim damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling, bei Schmid und bei anderen aus dem Ministerium interveniert hat. Wegen dieser Chats wird auch gegen Schelling und einen ehemaligen Kabinettsmitarbeiter ermittelt.
Causa Pilnacek
Viel mit dem Ibiza-Video zu tun haben auch die internen Querelen innerhalb der Justiz. Auslöser der Streitigkeiten war jedoch eine Dienstbesprechung in der Causa Eurofighter, die anderthalb Monate vor Erscheinen des Ibiza-Videos stattgefunden hat. Seit damals sind sich große Teile der WKStA und deren damalige Vorgesetzte, nämlich Oberstaatsanwaltschaft Wien-Chef Johann Fuchs und der mittlerweile suspendierte Sektionschef Christian Pilnacek, spinnefeind.
Gegen Pilnacek und Fuchs wurden Ermittlungen eingeleitet auch da geht es eigentlich um etwas anderes als Ibiza, nämlich um den Verdacht, Pilnacek habe dem ehemaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter vorab eine Hausdurchsuchung bei dessen Mandanten Michael Tojner verraten. Im Lauf der Ermittlungen kamen immer mehr Verdachtsmomente hinzu es geht um Verletzung des Amtsgeheimnisses, Falschaussage vor dem U-Ausschuss und Amtsmissbrauch. Gegen Pilnacek wurde bereits prozessiert, am Ende stand ein nicht rechtskräftiger Freispruch. Gegen Fuchs wurde ein Strafantrag eingebracht.
Der große, fast bedeutungslose Rest
Nach Ibiza erlebten die Behörden eine wahre Flut an Anzeigen – und sehr, sehr viele wurden nach Paragraf 35c des Staatsanwaltschaftsgesetzes zurückgelegt, kurzum: weil die Ermittler keinen Anfangsverdacht sahen. Das betrifft beispielsweise Anzeigen rund um Parteispenden an die ÖVP in Verbindung zu angeblichen Vorteilen für die Spender (Klaus Ortner, Heidi Horten). Auch viele Personalbestellungen wurden angezeigt: etwa im Bereich der Bundesforste, der Asfinag abseits Stieglitz oder der Austro Control. Allein gegen Nationalratsvorsitzenden Wolfgang Sobotka gab es sechs bislang erfolglose Anzeigen, ermittelt wird aufgrund eines anderen Sachverhalts, nämlich der BMI-Chats.
Im Verfahren rund um parteinahe Vereine sind unzählige erfolglose Anzeigen zu finden. Betroffen sind nahezu alle Verteidigungsminister der jüngeren Geschichte. Auch rund um die Ermittlungen gibt es einige abgebrochene, eingestellte oder vor sich hin dümpelnde Verfahren rund um Leaks oder Falschaussagen. Um sich gegen die Flut an peinlichen Chats zu wehren, wurden Medien von türkiser Seite auch Nachrichten zwischen Thomas Schmid und Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian zugespielt. Deshalb wird gegen unbekannte Täter wegen des Verdachts auf Verletzung von Datenschutzgesetzen ermittelt.
Ausblick
Die Ibiza-Ermittlungen werden die Justiz noch Jahre beschäftigen. Drei Jahre nach Veröffentlichung des Videos gab es bislang, was den großen Komplex Korruption betrifft, lediglich einen Gerichtsprozess. Der endete, nicht rechtskräftig, mit einer Verurteilung des einstigen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache. Eingebracht wurden zwei weitere Strafanträge, einmal gegen Strache, einmal gegen eine frühere Mitarbeiterin des Finanzministeriums.