Kein Kniefall vor dem Islam

Kein Kniefall vor dem Islam

Von einem „Kniefall vor dem Islam“ spricht der Klubobmann der Wiener Freiheitlichen, Maximilian Krauss: „Nur weil aufgrund der Massenzuwanderungspolitik der SPÖ 35 Prozent der Volksschüler in Wien Muslime sind und viele Eltern ein Problem mit unseren demokratischen Grundsätzen haben, kann es nicht sein, dass wir jetzt den Religionsunterricht streichen, der auch zur Allgemeinbildung in unserer Gesellschaft zählt“, so Krauss. Anlass: Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) fordert, einen Pflichtgegenstand „Leben in einer Demokratie“ einzuführen und „Religion“ zu einem Freifach zu erklären. Das hat was. Von einem „Kniefall vor dem Islam“ kann keine Rede sein.

Das Hauptproblem ist nicht Zuwanderung und schon gar nicht eine angebliche „Massenzuwanderungspolitik der SPÖ“, wie Krauss behauptet. Erstens: Zuwanderung ist Bundessache. Dafür zuständig ist das Innenministerium. Zuletzt geführt wurde es vor einem Vierteljahrhundert von einem Sozialdemokraten. Seither bestimmen Schwarze bzw. Türkise die Zuwanderungspolitik, ja zwischendurch hat sich auch ein Freiheitlicher darum gekümmert. Man kennt ihn: Bundesparteiobmann Herbert Kickl, Innenminister von Ende 2017 bis Mitte 2019.

Zweitens: Auffallend ist der bescheidene Anteil römisch-katholischer Volksschulkinder in Wien. Mit 21 Prozent ist er bereits kleiner als der Anteil der Buben und Mädchen ohne Bekenntnis (26 Prozent). Sie kommen nicht irgendwoher: Bei vielen von ihnen sind Eltern oder Großeltern aus der Kirche ausgetreten und, wenn man so will, vom Glauben abgefallen. Säkularisierung ist angesagt. Nicht immer heißt das jedoch, sich mehr dem Geist der Aufklärung verpflichtet zu fühlen. Dem gilt es Rechnung zu tragen. Doch dazu später.

Drittens: Nicht alle Muslime sind gleich, geschweige denn an der Errichtung eines Kalifats interessiert, wie Krauss im Übrigen befürchtet. Eine Befragung unter über 1000 Muliminnen und Muslimen im Großraum Wien hat im Sommer 2021 folgendes ergeben: Auf die Frage nach ihrer Religiosität antwortete ein Drittel „teils-teils“. Viele eher nicht oder eher schon. Nur 15 Prozent betrachten sich als sehr religiös. Wichtiger: Deutlich mehr als die Hälfte ist sehr oder eher tolerant bezüglich Vielfalt und Pluralismus.

Soll heißen: Man kann (wie immer) bei weitem nicht alle in einen Topf schmeißen und als Gefährder darstellen. Zumal man dann zwangsläufig übersieht, dass es sehr wohl Feinde der westlichen Gesellschaft und ihres Rechtsverständnisses gibt, die als Bedrohung wahrgenommen werden müssen: Etwas mehr als jeder Achte befürwortete bei der Befragung Gewalt, ja jeder Vierzehnte die Todesstrafe im Falle von bestimmten Einstellungen und Verhaltensweisen. Das geht gar nicht.

Doch zurück zu den Volksschulen und dem, was dort unterrichtet werden sollte. Mit dem herkömmlichen Religionsunterricht wird man den zwei zentralen Herausforderungen nicht gerecht: Der Säkularisierung, die oft Beliebigkeit oder Willkür heißt, und der Gruppe muslimischer Kinder, denen Grundsätze wie Freiheit und Gleichheit fremd sind oder die diese sogar ablehnen.

Hier entsteht Bedarf für das, was manche als „Leitkultur“ für alle verstehen, sofern sie damit Grundprinzipien von Demokratie und Rechtsstaat meinen. Wobei der Punkt ist, dass diesbezüglich nichts neu erfunden werden muss. Es muss „nur“ viel mehr ins Bewusstsein gerufen werden. Die Schule wäre mit einem eigenen Unterrichtsfach der ideale Ort dazu.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

Yayınlama: 14.06.2024
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