Konservative und nationalistische türkische Wähler unterstützen die FPÖ | Ein Paradox?
Dass eine Migrantengruppe eine migrationskritische Partei unterstützt, mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, doch diese Entscheidung lässt sich durch tiefgreifende soziale und politische Dynamiken erklären.
Warum könnten konservative und nationalistische Wähler türkischer Herkunft in Österreich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), die für ihre migrationskritischen Positionen bekannt ist, unterstützen?
Im Gespräch mit FPÖ-Anhängern und potenziellen Wählern zeigt sich, dass die Sympathien konservativer und nationalistischer Migranten für die FPÖ auf vielschichtigen Gründen basieren. Einer der vordergründigen Gründe ist die gemeinsame Ablehnung der EU und Israels, die oft als verbindendes Gefühl empfunden wird.
Viele konservative und nationalistische Gruppen, die seit Langem Zukunftspläne für ein Leben in der Türkei schmieden, diese aber nicht umsetzen konnten, richten ihre politische und wirtschaftliche Haltung nach den diplomatischen Beziehungen der Türkei aus. In diesem Zusammenhang unterstützen sie die FPÖ, die als vierter Partner im „Dreieck Türkei, Russland und Ungarn“ angesehen wird. Die Nähe der FPÖ zu den Führungen Russlands und Ungarns ist bekannt und wird häufig kritisiert.
Nationalismus, der im eigenen Land Bedeutung hat, kann in einem anderen geografischen Kontext – etwa nach einer Migration – in widersprüchlicher Weise in Erscheinung treten. Ein Migrant, der in der Türkei nationalistisch eingestellt ist, kann im Gastland auf eine völlig andere Art von Nationalismus treffen. Da Nationalismus im Gegensatz zu Ideologien wie Sozialdemokratie oder Sozialismus keine universelle Strömung ist, spielt er keine verbindende Rolle.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die „Führerkultur“ oder die Gewohnheit, von einem „starken Führer“ regiert zu werden.
Die politische Kultur konservativer und nationalistischer Gruppen in der Türkei ist von der Tradition charismatischer und autoritärer Führer geprägt. Diese Führer schaffen ein Gefühl von Sicherheit und Loyalität. Türkischstämmige Menschen im Ausland bringen diese Gewohnheiten mit in die Diaspora.
Die FPÖ hat sich mit ihrer klaren und scharfen Rhetorik einen besonderen Platz in der österreichischen Politik erarbeitet. Die autoritäre und charismatische Haltung der FPÖ-Führung wird von konservativen und nationalistischen Wählern türkischer Herkunft als „Zeichen der Stärke“ wahrgenommen. Für viele von ihnen wirkt eine solche Haltung anziehend, da sie einer führerzentrierten Politik gegenüber aufgeschlossen sind.
Ein weiterer Grund ist die Betonung traditioneller Familienwerte, die Ablehnung von LGBTI+-Rechten und das Hervorheben der christlichen Wurzeln Österreichs durch die FPÖ. Diese Positionen schaffen ein Gefühl der Nähe für konservative und religiöse türkischstämmige Wähler. Obwohl die FPÖ oft eine islamkritische Haltung einnimmt, wird dies von vielen türkischen Wählern als ein Standpunkt gegen „Radikalismus“ interpretiert.
Pragmatische Aussagen der FPÖ, wie positive Verweise auf die türkische Führung oder Kritik an der „ungerechten“ Haltung der EU gegenüber der Türkei, tragen ebenfalls dazu bei, die Unterstützung dieser Wählergruppen zu gewinnen.
Ein weiterer Aspekt ist, dass einige türkische Nationalisten die unkontrollierte Migrationspolitik in Österreich als Bedrohung für ihren Lebensstandard empfinden. Die migrationskritische Rhetorik der FPÖ bietet eine Antwort auf diese Ängste und wird daher als attraktiv wahrgenommen.
Türkischstämmige Wähler, die sich politisch lange Zeit auf die SPÖ konzentrierten, haben begonnen, auch andere Parteien zu betrachten und dieses „Tabu“ zu brechen. Enttäuschungen über die SPÖ haben dazu geführt, dass die FPÖ für viele eine „Protestpartei“ geworden ist.
Für die kommenden Wiener Landtagswahlen plant die FPÖ gezielte Kampagnen, um die Unterstützung türkischstämmiger Wähler zu gewinnen, die sich stark mit der Türkei verbunden fühlen. Gleichzeitig wird die FPÖ ihre migrationskritische Rhetorik beibehalten. Diese Strategie zielt darauf ab, einerseits die allgemeine Wählerbasis nicht zu verlieren und andererseits bestimmte Migrantengruppen anzusprechen.
Die Unterstützung einer migrationskritischen Partei durch eine Migrantengruppe kann letztlich pragmatisch erklärt werden. Konservative und nationalistische türkischstämmige Wähler stellen individuelle oder gruppenspezifische Interessen in den Vordergrund und finden Verbindungen zwischen den politischen Positionen der FPÖ und ihren eigenen Werten.
Diese Unterstützung birgt jedoch ein tiefes Paradox: Als Migranten selbst riskieren diese Personen, ihre eigene Identität zu verleugnen, indem sie eine Partei unterstützen, die migrationskritische Positionen vertritt.