Überschätzen wir uns selbst? | Türkische Wähler:innen aus österreichischer Perspektive

Adem Hüyük, Avusturya'nın Viyana kentinde yaşayan Türk gazeteci ve yazardır. Der Virgül adlı haber ve analiz platformunun imtiyaz sahibi ve köşe yazarıdır. Gazetecilik kariyerinde, Avusturya'daki Türk toplumu, göçmen politikaları ve Avrupa'daki Türk diasporası üzerine analizler kaleme almıştır. Ayrıca, Avusturya'daki Türk toplumunun sosyolojik ve politik yapısı üzerine yazılar yazmaktadır. Deutsch: Adem Hüyük ist ein türkischer Journalist und Autor, der in Wien, Österreich lebt. Er ist Herausgeber und Kolumnist der Nachrichten- und Analyseplattform Der Virgül. In seiner journalistischen Laufbahn hat er Analysen über die türkische Gemeinschaft in Österreich, Migrationspolitik und die türkische Diaspora in Europa verfasst. Darüber hinaus schreibt er über die soziologische und politische Struktur der türkischen Community in Österreich.

Zwischen der Selbstwahrnehmung der türkeistämmigen Wähler:innen in Österreich und der Sichtweise der Österreicher:innen auf sie klafft eine deutliche Lücke. In beiden Ländern herrscht ein verbreiteter Irrtum: die eigene Unverzichtbarkeit.

Neulich sagte jemand in einem Wiener Kaffeehaus, während wir über die Nachwirkungen der letzten Türkei-Wahlen diskutierten:
„Wir sind hier sehr wichtig, unsere Stimmen entscheiden die Wahl.“
Dieser Satz lenkte das Gespräch in eine ganz andere Richtung.

Tatsächlich erzeugt die häufige Thematisierung der Auslandstimmen bei türkischen Wahlen ein „Gefühl von Macht“ innerhalb der türkischen Community in Österreich. Doch ob dieses Gefühl auch einer realen Wirkung entspricht, ist fraglich.

Aus Sicht der österreichischen Öffentlichkeit gelten türkeistämmige Wähler:innen oft als „in sich gekehrt“, „führerorientiert“ und „schlecht integriert“. Ein Teil dieser Einschätzung ist sicher von Vorurteilen geprägt, ein anderer Teil jedoch hängt mit den internen Dynamiken und der Art der Sichtbarkeit dieser Community zusammen. Teehäuser, Moscheen, Autokorsos und Social-Media-Auftritte sorgen für Aufmerksamkeit – doch diese Sichtbarkeit schlägt sich kaum in politischem Einfluss oder in einer relevanten Präsenz in der öffentlichen Debatte nieder. Genau hier beginnt die Illusion.

Das Selbstbild vieler türkeistämmiger Wähler:innen basiert häufig auf einem starken Selbstwertgefühl. Diese Haltung könnte auch als ein Versuch gedeutet werden, das mit der Migration verlorene Gefühl von „Zentrum“ durch ein neues Gefühl von Zugehörigkeit und Bedeutung zu kompensieren. Die Loyalität zu einem politischen Führer in der Türkei wird weniger als politische Entscheidung denn als Ausdruck von Identität verstanden. Die ausgrenzende und kategorisierende Herangehensweise der österreichischen Politik verstärkt diese Entwicklung zusätzlich.

Überschätzen wir uns selbst? Vielleicht.
Aber das lässt sich nicht bloß mit Arroganz erklären. Es könnte auch ein Reflex sein, der aus einem langen Gefühl der Unsichtbarkeit, der ständigen Fremdzuschreibung und der dauerhaften Abgrenzung entsteht.
Vielleicht sollten wir die Frage also anders stellen: Warum sind wir so sehr darauf angewiesen, uns selbst wichtig zu nehmen?

Dieser Text versteht sich weder als Kritik an der türkeistämmigen Community noch als Versuch, die österreichische Öffentlichkeit zu entlasten. Er ist vielmehr eine Einladung, zu hinterfragen, in welchen Spiegel wir hier gemeinsam blicken – und was wir darin tatsächlich sehen.

Sichtbar zu sein bedeutet nicht automatisch, wirksam zu sein. Vielleicht sollten wir weniger darüber reden, wie wichtig wir sind, und mehr darüber nachdenken, wofür wir eigentlich stehen.

Bei österreichischen Wahlen – lokal wie national – ist die Wahlbeteiligung unter türkeistämmigen Bürger:innen oft gering. Trotzdem werden sie sowohl in türkischen Medien als auch in der österreichischen Öffentlichkeit als politisch einflussreich dargestellt.
Doch beruht diese Wahrnehmung auf Zahlen – oder auf Symbolik?

Die hohe Beteiligung an türkischen Wahlen und die gleichzeitige Distanz zu österreichischen Urnengängen zeigen, wo das stärkere Gefühl von Zugehörigkeit liegt. Dies nährt die Vorstellung, „nur vorübergehend hier zu sein“, und hält die Idee aufrecht, dass „die eigentliche Politik dort“ stattfindet.

Türk:innen bekennen sich durchaus zu den Ländern, in die sie eingewandert sind. Doch dieses Bekenntnis lautet oft nicht: „Wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir gestalten mit“, sondern eher: „Das hier ist unsere zweite Heimat, aber unser eigentliches Zuhause ist dort.“
Deshalb beteiligen sich viele nicht aktiv an der österreichischen politischen Debatte oder an strukturellen Prozessen, sondern bleiben in ihren sozialen Räumen. Moscheen, Vereine, Teehäuser und eigene Medien funktionieren dabei oft als geschlossene Innenwelten.

Diese Abschottung schafft in der österreichischen Öffentlichkeit ein Gefühl von „Mauer“: Man ist sichtbar, aber nicht verständlich. Man ist zahlreich, aber nicht integriert. Das erzeugt Misstrauen draußen – und rechtfertigt Rückzug drinnen.

Ein aufschlussreiches Beispiel war die Einladung von fünf AKP-Bürgermeistern aus der Türkei durch einen türkischstämmigen SPÖ-Politiker kurz vor den letzten Wiener Wahlen.
Das mag rechtlich kein Problem darstellen – aber was sagt es über unser demokratisches Verständnis aus?

Solche Aktionen lassen den Eindruck entstehen, dass die türkische Community Österreich nicht als „gemeinsam aufgebautes Land“ versteht, sondern als eine Plattform für importierte Türkei-Politik.
Und genau das bringt viele Österreicher:innen zu der Frage: „Wessen Wähler:innen seid ihr eigentlich?“

Auch der türkeistämmigen Community selbst schadet dies. Denn lokale Politiker:innen konzentrieren sich dann weniger auf konkrete Themen wie Arbeitsplatzsicherheit, Bildung oder soziale Ausgrenzung, sondern richten ihre Aufmerksamkeit auf politische Botschaften aus der Türkei.
So wird die migrantische Wählerschaft von realen Problemen abgelenkt – oder ganz von der Wahl ferngehalten.

Warum also kann eine Community, die seit Jahrzehnten hier lebt, arbeitet und ihre Kinder hier großzieht, ihre eigenen Politiker:innen nicht als „unsere Leute“ sehen?
Warum ist die Wahlurne in der Türkei aufregender als jene in Österreich?

Vielleicht liegt es daran, dass sich viele in dieser Gesellschaft noch immer wie „Gäste“ fühlen. Vielleicht ist Österreich für einige nur eine wirtschaftliche Chance, aber kein politisches Zuhause.

Dann müssen wir uns noch eine Frage stellen:
Wenn wir weiterhin in diesem Land leben wollen – wollen wir es nur nutzen, oder wollen wir es gemeinsam gestalten?

Denn Sichtbarkeit allein reicht nicht.
Um wirksam zu sein, muss man erst dazugehören.

Yayınlama: 17.04.2025
Düzenleme: 18.04.2025
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