Deutsche Sozialisten wollen Sultan Erdogan retten
Deutschland muss nach Darstellung von SPD-Chefin Andrea Nahles unter Umständen die wirtschaftlich angeschlagene Türkei unterstützen. „Es kann die Situation entstehen, in der Deutschland der Türkei helfen muss“, sagte sie. Dies müsse dann „unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen“ mit Präsident Recep Tayyip Erdogan geschehen. „Die Türkei ist ein NATO-Partner, der uns nicht egal sein kann“, so Nahles.
„Es ist in unser aller Interesse, dass die Türkei wirtschaftlich stabil bleibt und die Währungsturbulenzen eingedämmt werden“, fügte Nahles hinzu. Den für September geplanten Staatsbesuch Erdogans in Deutschland nannte Nahles richtig. „Die Bundesregierung muss mit der Türkei auf allen Ebenen im Gespräch bleiben“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Nahles fügte hinzu: „Es ist meine klare Erwartung an die Bundeskanzlerin, dass natürlich auch kritische Fragen angesprochen werden – hierzu gehören insbesondere das Festhalten und die Inhaftierung von deutschen Staatsangehörigen in der Türkei.“
Gabriel: „Türkei könnte nach Atombombe greifen“
Der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) richtete ebenfalls einen eindringlichen Appell an Deutschland und Europa, die Türkei nicht zu isolieren. „Wir müssen im eigenen Interesse alles tun, um die Türkei im Westen zu halten“, sagte Gabriel. Er warnte, „nationalistische Kräfte“ in der Türkei könnten „wie im Iran und in Nordkorea nach der Atombombe greifen, um sich unangreifbar zu machen“.
Massiver Kursverfall der türkischen Lira
Die Türkei wird derzeit von einer Wirtschafts- und Währungskrise beherrscht, die die türkische Lira in den vergangenen Wochen auf Talfahrt geschickt hatte. Der Konflikt mit den USA um einen in der Türkei unter Hausarrest stehenden US-Pastor hat in den vergangenen Wochen zu einem massiven Kursverfall der Lira geführt. Am Freitag stuften die Rating-Agenturen Moody‘s und S&P die Kreditwürdigkeit des Landes noch tiefer in die Ramschzone. Erdogan warf den USA am Samstag vor, sein Land wirtschaftlich in die Knie zwingen zu wollen.
Regierungssprecher: „Frage von Türkei-Hilfe stellt sich aktuell nicht“
Die deutsche Bundesregierung regierte unterdessen sehr zurückhaltend auf den Vorschlag von Nahles. Die Frage deutscher Hilfen „stellt sich für die Bundesregierung aktuell nicht“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Grundsätzlich sei aber die Bundesregierung an einer wirtschaftlich stabilen Türkei interessiert. Seibert wies darauf hin, dass Kanzlerin Angela Merkel und Erdogan in ihrem Telefonat in der vergangenen Woche verabredet hatten, dass die Finanz- und Wirtschaftsminister beider Seiten am 21. September den Besuch Erdogans Ende September vorbereiten sollen.
CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt knüpfte eine mögliche finanzielle Hilfe für die Türkei an die Bedingung eines politischen Kurswechsels der türkischen Regierung. Die Ursache für die Wirtschafts- und Währungskrise in der Türkei seien „die fahrlässigen Äußerungen“ Erdogans hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Rechtsstaatlichkeit, sagte Hardt am Montag der „Rheinischen Post“. Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) lehnte deutsche Hilfen generell ab. „Sie sind weder notwendig noch ratsam“, sagte er dem „Münchner Merkur“. Der IWF verfüge über die nötige Erfahrung und das Instrumentarium, um Ländern in Zahlungsschwierigkeiten zu helfen.
Oettinger: „Das ist die Aufgabe des IWF“
Auch der deutsche EU-Budgetkommissar Günther Oettinger äußerte sich ablehnend zu deutschen Finanzhilfen für die angeschlagene Türkei. Es sei nicht die Aufgabe Deutschlands, der Türkei unter die Arme zu greifen, sagte Oettinger. „Das ist die Aufgabe – wenn – des Internationalen Währungsfonds, des IWF, der ist dafür da. Und ich glaube, zu allererst ist Handlungsbedarf in Ankara, nicht in Berlin und nicht in Brüssel.“
Fall der deutschen Journalistin Tolu belastet Beziehungen schwer
Überdies belastet der Fall der deutschen Journalistin Mesale Tolu, die wegen Terrorvorwürfen in der Türkei angeklagt wurde, die Beziehungen der Türkei zu Deutschland schwer. Die Verhandlung gegen Tolu, der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen wird, soll am 16. Oktober fortgesetzt werden. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft. Als erstes leichtes Zeichen einer Entspannung hob ein Gericht die Ausreisesperre gegen Tolu auf. Ihr sei es derzeit gestattet, die Türkei zu verlassen, hieß es.