Die Ambulanzgebühr verdient eine zweite Chance
Ein erster Versuch vor fast 20 Jahren ist zwar gescheitert. Aber ein neues Modell im Wiener AKH zeigt, wie es funktionieren kann.
Köksal Baltacı
Es ist die Folge einer jahrzehntelangen „Erziehung“ durch Vertreter des österreichischen Gesundheitssystems, bloß keine Scheu davor zu haben, rund um die Uhr ein Krankenhaus aufzusuchen – auch dann, wenn kein Notfall vorliegt.
Ein Relikt aus Zeiten ohne Ärztemangel und mit einigermaßen funktionierenden Spitalsambulanzen.
So sind wir heute in einer Situation, in der es sich jemand mit, sagen wir, Magenschmerzen aussuchen will und darf, zu seinem Hausarzt, einem niedergelassenen Internisten oder in eine Spitalsambulanz zu gehen.
Überall zu denselben Konditionen, nämlich gratis – für die exakt gleiche Behandlung.
Obwohl sein Besuch in einer (chronisch überlasteten) Ambulanz das System, also die steuerzahlende Allgemeinheit, um ein Vielfaches mehr kostet als bei seinem Hausarzt.
Aber das interessiert den Patienten mit Magenschmerzen nicht. Die E-Card öffnet alle Türen.So wurde ihm das beigebracht, so wird das immer weitergehen.
So kann es aber nicht weitergehen.
Die aktuellen Bemühungen um die Aufwertung von Allgemeinmedizinern (mit durchaus beachtlichen Fortschritten wie etwa den Honorarerhöhungen) sowie die flächendeckende Etablierung von Primärversorgungseinheiten (Gruppenpraxen mit längeren Öffnungszeiten) sind nicht genug.
Zusätzlich zu diesen positiven Anreizen, niedergelassene Ärzte aufzusuchen, braucht es ein Mittel, um unnötigen „Selbstüberweisungen“ in Spitalsambulanzen einen Riegel vorzuschieben.
Und das kann nur eine Ambulanzgebühr sein – wenn es sich um keinen Notfall handelt.
Die Gegner werden jetzt argumentieren, dass eine solche Gebühr bereits im Jahr 2000 von der schwarz-blauen Regierung eingeführt und wenig später vom Verfassungsgerichtshof zunächst wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung und 2003 endgültig wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben wurde.
Damals hieß es, dass die Einnahmen die Kosten sowie den bürokratischen Aufwand nicht rechtfertigten.
Zudem könne man von Patienten nicht erwarten, unterscheiden zu können, was ein Notfall ist und was nicht. Und nicht zuletzt wären vor allem einkommensschwache Menschen die Leidtragenden, denn diese Gruppe suche Ambulanzen besonders oft auf und wäre daher am stärksten von der Gebühr (150 Schilling mit Überweisung, 250 Schilling ohne) betroffen.
Sämtliche Punkte sind nicht unberechtigt, werden aber seit zwei Jahren von der sogenannten Allgemeinmedizinischen Akutordination (AMA) im AKH, also einer Hausarztordination in einem Krankenhaus, jeden Tag aufs Neue widerlegt.
Dort nehmen die Pflegekräfte bei jedem, der die Notfallambulanz aufsucht, auf Basis einer genormten Tabelle eine Kategorisierung der Beschwerden (Triage) vor.
Gehört ein Patient nicht in die Notfallambulanz, wird er in die nahe gelegene Hausarztordination weitergeschickt.
Ein System, das reibungslos funktioniert, viel Geld spart und die Notfallambulanz spürbar entlastet.
Eine zweite AMA wurde Anfang Dezember im SMZ Ost eingerichtet.
Betrieben wird auch sie vom Wiener Ärztefunkdienst.
Nun kann aus Kapazitätsgründen natürlich nicht jedes Spital eine derartige Ordination haben.
Aber was spricht dagegen, dass bei der Patientenaufnahme in der Notfallambulanz eine Bewertung der Beschwerden durch das Pflegepersonal vorgenommen wird?
Im Zweifel kann auch ein Arzt hinzugezogen werden, um das Risiko einer Fehleinschätzung zu minimieren.
Wer die Infrastruktur einer Notfallambulanz wirklich braucht, wird behandelt – wie bisher ohne Gebühr.
Alle anderen gehen am nächsten Tag zu ihrem Hausarzt. Wenn sie nicht warten wollen, bezahlen sie zehn Euro. Oder 20.
Der administrative Aufwand wäre überschaubar.
Zusätzliche Kosten fielen auch kaum an. Und die Patienten, die dann Gewissheit darüber hätten, dass es sich bei ihrem Problem nicht um einen Notfall handelt, könnten selbst entscheiden, ob sie für eine Behandlung in einer Spitalsambulanz extra bezahlen wollen.
Jetzt müssten wir nur noch wissen, wie viele Patienten davon betroffen wären.
Wie viele Notfälle also eigentlich gar keine Notfälle sind.
Nun, wir wissen es: Es sind acht von zehn./“Die Presse”
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