Die Beichte von Marsaleks BVT-Freund
Ein Ex-Abteilungsleiter ermöglichte dem Ex-Wirecard-Chef die Flucht und hatte auch danach Kontakt. Er sollte Polizei-interne, sensible Informationen liefern. Nicht zum ersten Mal.
von Anna Thalhammer | Die Presse
Waschbeton-Platten außen, Terrazza-Boden innen und Stiegengeländer aus abgenutztem Holz.
Der Flughafen Bad Vöslau hat optisch viel mit einem durchschnittlichen österreichisches Schulgebäude aus den 60er-Jahren gemein. Erstaunlich wenig Glamour dafür, dass hier sündteure Reisen mit Privatfliegern angetreten werden.
Die Abflughalle ist etwa 50 Quadratmeter groß. Auf der einen Seite der einzige Check-in, gegenüber der Schalter der Polizei.
Und genau an der spazierte der Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marslaek am 19. Juni 2020 vorbei, setzte sich in die Cessna Mustang 50 mit leichtem Gepäck in einer Ledertasche und in Businesskleidung. Er zahlte seinen Trip nach Minsk bar, weg war er.
Am Tag zuvor war er vom Aufsichtsrat von seiner Funktion entbunden worden, sprach am Abend darüber mit zwei Freunden bei einem Italiener in München: Assistentin Sabine E. und Martin W., bis 2017 mächtiger Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Und der war es auch, der dem Mann, der Marsalek einen Ausweg aus der Bredouille ermöglichte. Gemeinsam mit einem Ex-FPÖ-Abgeordneten, der organisierte er für Marsalek den Flug bei einem befreundeten Pilot. Am 19. Juni, gegen 20 Uhr hob der Flieger ab, seitdem fehlt jede Spur.
Freund und Helfer. Das war zumindest bis vor wenigen Tagen so, bis zuerst der Ex-FPÖ-Abgeordnete (eigentlich wegen etwas anderem), und dann Martin W. verhaftet wurden. Letzterer legte eine Beichte ab, die der „Presse“ vorliegt. Demnach ist Marsalek doch nicht so verschollen wie geglaubt.
W. gab bei seiner Vernehmung an, auch nach nach Marsaleks Flucht mit ihm in Kontakt gewesen zu sein. Er habe er sich mehrfach gemeldet. Per Whatsapp, Signal und Threema.
Aber auch über eine britische und über eine russische Telefonnummer. Zur Identifizierung habe Marsalek immer dieselbe Frage gestellt: „Wie geht es meiner „Schaukelfigur?“ Damit meinte er die Figur, die in seinem Büro hinter seinem Schreibtisch steht. Und dann wollte er wissen, was gerade so gegen ihn läuft. Martin W. berichtete, was er wusste.
Der Ex-BVT-Mann war oft derjenige gewesen, der Marsalek heikle Informationen besorgen sollte. Seit seinem Ausscheiden aus dem BVT 2017 arbeitete W. für eine Firma, die Wirecard nahestand und in Marsaleks Villa in München beheimatet war. Und da beauftragte Marsalek seinen Freund W. auch, über gewisse Personen Erkundungen einzuholen. W. ließ Kontakte zu seiner alten Behörde spielen. Bei einigen seiner Ex-Kollegen gab es vergangenes Wochenende Befragungen. Sein wohl bester Freund, der BVT-Beamte O., wurde nach minutenlanger Gegenwehr festgenommen.
O. soll für Marsalek Informationen aus den sensiblen und geheimen Registern der Verfassungsschutzer besorgt haben, so der Vorwurf. 25 Anfragen sollen es gegeben haben – bezahlt wurde nicht direkt. W. gab aber an, O. mit 6000 Euro bei seiner Kreditabzahlung geholfen zu haben. Wahrscheinlich ist, dass O. die Abfragen nicht alle selbst gemacht hat. Wegen Vorwürfen der Russlandspionage und illegaler Datenabfragen wurde der Mann bereits 2017 vom BVT in die Sicherheitsakademie versetzt.
Von dort aus hatte er keinen Zugriff – laut W. lieferte er die gewünschten Informationen aber trotzdem. Etwaige Mithelfer sollen nun im BVT ausfindig gemacht werden – die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. O.s Anwalt, Volkert Sackmann, sagt sieht durch W.s Aussage (die erst zur Verhaftung führte), seinen Mandanten entlastet. „Ich bin froh, dass mein Mandant durch die Aussage entlastet wurde.“ Gegen die verhängte U-Haft wolle er nun darum vorgehen.
Informationsloch. Wie der „Presse“ vorliegende Handychat-Auswertungen ergeben, organisierte O. nicht nur Informationen für Marsalek Auch Journalisten gehörten zu seinen Kontakten – und solche, die gerne welche wären. Und so war O. nicht nur W.s Informant, sondern auch umgekehrt. Ständig habe O. Neues über Wirecard oder Marsalek, wissen wollen, sagte W. in seiner Vernehmung. Und so lieferte W. seinem Freund O. etwa ein Foto von Innenminister Wolfgang Sobotka gemeinsam mit Marsalek. Die beiden waren am 30. Mai 2017 zu einem Abendessen in die österreichische Botschaft in Moskau eingeladen gewesen. Das Foto erschien auf Peter Pilz Medium zackzack.
Und W. sagt über seinen Freund auch aus: „Wenn ich mir meine Kontakte zu O. überlege, über seine Bemühungen, neue Infos zu beschaffen in eine Gesamtschau einfließen lasse, komme ich zu dem Entschluss, dass O. beinahe die gesamt Opposition mit Nachrichten versorgt, ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gratis macht.“ Einiger dieser Informationen sollen im BVT-U-Ausschuss aufgekommen sein – das ist Gegenstand von Ermittlungen.
Die „Presse“ befragte alle damaligen Fraktionsführer, ob sie O. kennen und ob Geld geflossen sei. Eine Bekanntschaft stritten ÖVP und SPÖ ab – O. gilt als SPÖ-nahe. Alle anderen wollten sich nicht äußern, schlossen aber aus, dass für Infos bezahlt wurde.
Auch W. und Marsalek pflegten Kontakte zur Spitzenpolitik – vor allem in der ÖVP und der FPÖ hatten sie von Ministern abwärts viele hochrangige bekannte. Einige bekamen Aufträge im Wirecard-Universum. Welche Informationen über unsaubere Kanäle gelaufen sind, wer an dubiosen Geschäften beteiligt war – und wie die österreichische Politik darin verstrickt ist, W. könnte Licht ins Dunkel bringen. Er sagte umfängliche Kooperation zu, sagte, er sei sich seiner Taten bewusst – und wolle nun für seine Familie reinen Tisch machen. W. ist auf freiem Fuß.