Die kolossal missglückte Drohung des Wiener Gesundheitsstadtrats
Peter Hackers zuletzt erhobene Forderung, die Zahl der Wahlärzte zu beschränken, zeugt von einer beachtlichen Fehleinschätzung der Situation.
Köksal Baltaci
Scheu vor radikalen Ansätzen kann man Peter Hacker nun wirklich nicht nachsagen. Diesmal will der Wiener Gesundheitsstadtrat – ohne Details zur Umsetzung zu nennen – die Zahl der Wahlärzte beschränken. Denn, weil ja ihre Ausbildung mit Steuergeld finanziert wird, sollten sie sich nach dem Studium nicht aus der Verantwortung stehlen und in den Privatsektor gehen, sondern sich im Kassensystem an der Erfüllung des öffentlichen Versorgungsauftrags beteiligen.
Vereinfacht ausgedrückt lautet die These seines, wie er sagt, „Denkanstoßes“: Die vielen Wahlärzte tragen die Hauptschuld dafür, dass Kassenstellen unbesetzt und deswegen die Spitalsambulanzen überfüllt bzw. die Wartezeiten in Facharztordinationen lang sind.
Die beiden wichtigsten Gründe für die überlasteten Spitalsambulanzen wiederum sind neben dem Mangel an Hausärzten (in der Allgemeinmedizin gibt es so gut wie keine Wahlärzte) zum einen die vielen Überweisungen von Fachärzten in Krankenhäuser, weil sie manche Untersuchungen bzw. Behandlungen wegen der strengen Fachabgrenzung in Österreich nicht durchführen dürfen oder aufgrund des veralteten Honorierungssystems wegen Unrentabilität nicht durchführen wollen; und zum anderen die jahrzehntelange „Erziehung” der Bevölkerung durch Vertreter des Gesundheitssystems, bloß keine Scheu davor zu haben, rund um die Uhr ein Krankenhaus aufzusuchen und die Vorteile eines „One-Stop-Shops” zu nutzen, in dem sämtliche Untersuchungen an einem Ort durchgeführt werden – selbst dann, wenn kein Notfall vorliegt.
Nicht zuletzt können auch die Wartezeiten in den Facharztpraxen nicht Wahlärzten angelastet werden, da sie hauptsächlich wegen Honorardeckelungen zustande kommen. Fachärzte mit Kassenvertrag verteilen also viele Untersuchungen auf das ganze Jahr, damit sie sie beispielweise ab September nicht mehr unentgeltlich anbieten müssen. Dieses Problem könnte lediglich mit mehr Kassenstellen oder mit der Aufhebung der Deckelungen gelöst werden – jedenfalls nicht mit der Beschränkung der Zahl an Wahlärzten.
Weniger Wahlärzte hätte also einzig und allein zur Folge, dass Patienten nicht auf den Privatsektor ausweichen können, wenn sie einer Fließbandabfertigung und den langen Wartezeiten entgehen wollen.
Nun könnte man Peter Hacker zugutehalten, mit seinem Vorstoß implizit damit zu drohen, Spitalsärzten Nebenbeschäftigungen zu verbieten – ein solches Verbot könnte er wohl aussprechen, und die meisten Wahlärzte arbeiten nun einmal in Spitälern –, und so eigentlich nur die Krankenkassen unter Druck setzen zu wollen, mehr Planstellen zur Verfügung zu stellen und den Honorarkatalog zu reformieren.
Aber mit einem Druckmittel verhält es sich so: Es sollte zumindest einen Funken Realismus und Glaubwürdigkeit beinhalten. Denn, dürften Spitalsärzte tatsächlich keine Wahlarztordinationen mehr betreiben, würden sie (mangels Kassenverträgen) entweder im niedergelassenen Bereich fehlen oder zum allergrößten Teil in Privat- bzw. Ordensspitäler oder gleich ins benachbarte Ausland ausweichen – und die Wiener Gemeindespitäler hätten mal eben um rund 3000 Ärzte weniger.
Beides kann ein Gesundheitsstadtrat natürlich nicht wollen. Das hat Hacker auch nicht gesagt, sondern nur einen „Denkanstoß” gegeben. Nur halt ohne ihn zu Ende zu denken.Die Presse
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