“Die Tschuschen haben den Gemeindebau gebaut, das soll Blümel nicht vergessen”
Die Rapperin Esra Özmen über Rassismus im Wiener Wahlkampf und darüber, wie sie zur Ausländerin gemacht wird
Interview: Corinna Milborn
DIE ZEIT: Frau Özmen, das letzte Album Ihres Rap-Duos EsRaP heißt Tschuschistan. Wo liegt das? Hier, in Ottakring?
Esra Özmen: Ja, hier – aber nicht nur. Tschuschistan ist unser Begriff für das dazwischen. Das Gefühl, weder hier noch da dazuzugehören, und die Sehnsucht nach einem Land, in dem wir uns wohlfühlen. Wenn ich sage, ich bin Wienerin, dann hat man ein Bild von einem Wiener, das mit mir nicht zusammenpasst. Deshalb haben wir diesen Begriff für uns Migranten und Tschuschen erfunden: Tschuschistan.
ZEIT: Warum sagen Sie nicht einfach, “ich bin Wienerin” und “ich bin Österreicherin”?
Özmen: Es ist ein Scheitern von Politik. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, aber selbst ich hatte von klein auf ein bestimmtes Bild von Wienern: Die waren weiß, blond, privilegiert. Und wir waren die Ausländer. Wenn man jetzt im Wahlkampf durch Wien geht: Wie soll ich mich als Wienerin fühlen, wenn auf Plakaten gegen Muslime gehetzt wird? Wenn meine Mutter Kopftuch trägt und deshalb gegen sie gehetzt wird? Da ist es schwierig zu sagen: Ich gehöre dazu.
ZEIT: Diesmal rittern im Wien-Wahlkampf gleich drei Parteien um den härteren Integrationskurs.
Özmen: Wir sind schon mega-trainiert. Seit ich auf der Welt bin, gibt es diese Hetze und diese Wahlplakate. Aber es macht mich trotzdem immer trauriger. Besonders, wenn ich mir ansehe, wie viel besser andere Länder mit dem Migrationsthema umgehen. Künstler-Kolleginnen aus Deutschland sagen offen: Wir sind Deutsche, hier ist mein Platz. Da gibt es Stolz – “mein Block, meine Stadt, mein Land”. In meinem Umfeld würde kein Migrant sagen: “Ich bin Österreicher.”
ZEIT: Sie singen über sich als “die Enkel der Gastarbeiter”. Sie sind also die dritte Generation, sind optisch nicht als Ausländerin erkennbar und tragen auch kein Kopftuch. Warum dauert das so lange?
Özmen: Ich bin ja eigentlich nicht Ausländerin, ich bin hier geboren, ebenso wie meine Eltern. Der Rassismus hat mich zur Ausländerin gemacht. In der Volksschule wollte man mich in eine Sonderschule stecken, weil ich nicht genug Deutsch konnte. In der Hauptschule war ich mit 14 Türken, sechs Ex-Jugoslawen und einem einzigen Österreicher in der Klasse. Wir waren die Ausländerschule. Im Gymnasium waren dann 14 Wiener, eine Türkin. Die Einzige zu sein hat mich noch mehr türkisiert. Es gab nie einen Raum, in dem ich sagen konnte: Ja, ich bin Wienerin.
ZEIT: Aber Sie haben an der Akademie für Bildende Künste studiert, Sie haben die Festwochen eröffnet – mehr Anerkennung als Musikerin kann man kaum bekommen. Widerspricht das dem nicht?
Özmen: Ich habe zehn Jahre und ein abgeschlossenes Kunststudium gebraucht, um dort zu sein, wo Wiener Rapperinnen in ein paar Jahren waren. Ich habe gekämpft und gekämpft. Nun bin ich in solchen Zusammenhängen oft wegen einer “Migrantenquote” dabei. So wie man schon länger sagt, “Stopp, wo sind die Frauen?”, sagt nun manchmal wer: “Stopp, wo sind die Migranten?” Das stört mich nicht, wir haben ein Recht auf diesen Platz, und ich nehme ihn sehr gerne. Ich kuratiere das nächste Popfest und achte da auch auf Quoten.
ZEIT: Die Texte von EsRaP sind zweisprachig, Deutsch und Türkisch fließen ineinander. In der Integrationspolitik und im Wahlkampf ist Sprache ein großes Thema: Mehr als die Hälfte der Kinder in Wiener Volksschulen sprechen zu Hause nicht deutsch. Ist das ein Problem?
Özmen: Sprache ist eine Ausdrucksform, der wir so wenige Grenzen wie möglich setzen sollten. Wenn man Kinder dauernd korrigiert und darauf hinweist, dass sie nicht gut Deutsch können, verstummen sie. Ich hatte im Gymnasium so viel zu sagen, aber ich habe mich nie getraut – aus Angst, ich könnte einen Fehler machen.
ZEIT: ÖVP-Kandidat Gernot Blümel fordert nun Deutschkenntnisse für den Zugang zum Gemeindebau.
Özmen: Die Tschuschen haben den Gemeindebau gebaut, das soll Blümel nicht vergessen! Diese Leute, denen es so gut geht, dass sie Politik machen können, sollten den Gastarbeitern täglich danken. Sie sollten meinem Großvater die Hand küssen, anstatt ihm vorzuschreiben, wie er spricht. Mein Großvater war am Bau, 50 Jahre lang. Mein Vater ist Dachdecker und baut hier die Häuser und repariert die Gemeindebauten. Sein Kreuz tut weh davon, und dann hetzt man gegen ihn? Wenn du so etwas hörst, wie willst du dich als Wiener fühlen?
ZEIT: Was halten Sie von den Deutsch-Klassen, in denen Kinder die Sprache gut lernen, bevor sie in den normalen Unterricht kommen?
Özmen: Nichts. Es ist ein enormer Druck auf die Kinder, ein Absondern. Dabei wäre es so einfach, es als Angebot statt als Zwang zu formulieren, das würde ja auch angenommen werden: Wer will denn nicht, dass es sein Kind leichter hat?
ZEIT: Ein weiteres Wahlkampf-Integrationsthema ist die Unterdrückung von Frauen. Beschäftigen Sie sich mit dem Frauenbild in türkischen, muslimischen Communitys?
Özmen: Ich mache da keinen Unterschied. Es ist schwer, in Österreich eine Frau zu sein, und es ist schwer, in der Türkei eine Frau zu sein. Ich selbst lebe offen und ehrlich aus, was ich für mich als Frausein empfinde. Ich nehme mir Raum, ich trage große Jacken, ich bin laut. Damit spreche ich Türken an und auch Österreicher. /zeit.de