Die Ursachen des Ukraine-Konflikts

Ein neuer Höhepunkt des Ukraine-Konflikt wurde mit dem Angriff Russlands erreicht. Die Ukraine gilt schon seit der Unabhängigkeitserklärung von der Sowjetunion im Jahr 1991 als Pulverfass. Die Sieger und Verlierer des Kalten Kriegs behandelten das flächenmäßig größte Land Europas als Spielball. Die letzten drei Jahrzehnte ukrainischer Geschichte wurden ganz maßgeblich von außen geprägt.

Die Ursachen des Ukraine-Konflikts

Einer der größten Streitpunkte im Vorfeld des nunmehr erfolgten russischen Einmarschs war die Osterweiterung der NATO. Russlands Präsident Wladimir Putin forderte Zusicherungen, dass das Bündnis nicht weiter in den Osten expandiert – und bezog sich auf eine Zusage aus dem Jahr 1990, also auf die Zeit vor dem endgültigen Ende der Sowjetunion.

Damals hatte der Westen dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zugesichert, dass sich die NATO keinen Zentimeter nach Osten bewegen werde. Doch, wie Gorbatschow später in einem ZDF-Interview sagte, ging es dabei in erster Linie um das Territorium der ehemaligen DDR, in dem sich zuvor sowjetische Streitkräfte aufhielten. Eine Aufnahme etwa von Polen in die NATO war gar kein Thema: „Der Warschauer Pakt existierte doch noch“, so Gorbatschow, die Frage habe sich damals noch gar nicht gestellt.

90 Prozent stimmten damals für Unabhängigkeit

Im darauffolgenden Jahr brach die Sowjetunion auseinander, am 24. August 1991 erklärte sich die Ukraine für unabhängig, wie der “orf.at” berichet. Das wurde in einem Referendum im Dezember mit großer Mehrheit der Bevölkerung bestätigt: Über 90 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer stimmten für die Unabhängigkeit. Auch auf der Halbinsel Krim, die in den 1950er Jahren der Ukrainischen Sowjetrepublik überlassen wurde, war eine Mehrheit dafür – wenngleich es auch Bemühungen gab, die Krim abzuspalten oder Russland anzuschließen.

Das Budapester Memorandum sicherte 1994 schließlich die Anerkennung der Souveränität und Grenzen der Ukraine (sowie Kasachstans und von Belarus) durch Russland, Großbritannien und die USA zu. Im Gegenzug verpflichtete man sich, auf den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten.

Annäherung von West und Ost mit jähem Ende

Was folgte, war eine vorläufige Annäherung zwischen dem Westen und Russland, mit einem jähen Ende im Jahr 1997: Damals bot die NATO Tschechien, Polen und Ungarn erstmals Beitrittsverhandlungen an. Trotzdem gab es den Versuch einer Annäherung zwischen Russland und NATO, wohl auch, um Moskau zu beruhigen: In einer Absichtserklärung, der NATO-Russland-Grundakte, wurde etwa festgelegt, dass man bestehende Grenzen respektiere. Aber auch, dass die NATO in Mittel- und Osteuropa keine Atomwaffen stationiert, war Teil der Vereinbarung.

1999, zum 50. Jubiläum der Gründung der NATO, wurde der erste Teil der Osterweiterung umgesetzt, Ungarn, Polen und Tschechien traten dem Bündnis bei. Eine mögliche Mitgliedschaft der Ukraine wurde zwar erst später Thema, dennoch: Für Russland war das ein tiefer Einschnitt. Das verärgerte nicht nur den damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin, sondern auch Putin, der Jelzin nachfolgte und 2000 zum ersten Mal russischer Präsident wurde, war das ganz offenbar ein Dorn im Auge.

Putin und die „größte geopolitische Katastrophe“

Das sagte etwa auch Nina Chruschtschowa, Enkelin des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Nikita Chruschtschow, zuletzt im „Spiegel“: „Putin denkt, Russland sei übers Ohr gehauen worden, und er müsse das zurechtbiegen. Deshalb möchte er zurück zum Status quo vor 1998, in eine Zeit, bevor der US-Senat der Möglichkeit einer NATO-Osterweiterung zustimmte.“ Putin selbst bezeichnete im April 2005 den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts.

„Orange Revolution“ führt zu Umschwung in Ukraine

Sowohl der im Kalten Krieg siegreiche Westen als auch das unterlegene Russland verfolgten damit entsprechende Interessen im Hinblick auf die Ukraine – auch im Land selbst war das spürbar. Im Jahr 2004 kam es zur „Orange Revolution“: Bei der damaligen Präsidentschaftswahl gewann Viktor Janukowitsch, der von Moskau unterstützt wurde. Der oppositionelle Viktor Juschtschenko, der in Orange antrat, unterlag in einer von Beobachtern und dem Westen scharf kritisierten Wahl.

Es kam zu zivilem Protest, nicht nur auf dem Maidan in Kiew, der auch ein knappes Jahrzehnt später bei neuen Protesten eine zentrale Rolle spielte. Der von den Protestierenden geforderten Prüfung des Wahlergebnisses folgte schließlich eine Wiederholung der Stichwahl, die der prowestliche Juschtschenko für sich entschied.

Putin-Rede im Jahr 2007 als Wendepunkt

Putin ortete in den Jahren danach eine Übermacht des Westens, allen voran Washingtons: 2007 kritisierte er das in einer viel zitierten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Die USA hätten sich zum „Motor für Wettrüsten, globale Spannungen und menschliche Tragödien“ gemacht. Der Versuch der USA und des Westens, eine „unipolare Weltordnung“ zu schaffen, habe mit Demokratie nichts zu tun, sondern ziele darauf ab, dem Rest der Welt seinen Willen gewaltsam aufzuzwingen, so Putin damals – ein Wendepunkt in der ohnehin zerbrechlichen Beziehung mit dem Westen.

Zwar galt die „Orange Revolution“ als Umbruch für die Ukraine, aber die Hauptfiguren der Bewegung zerstritten sich bald, politische Erfolge wurden zu wenige erreicht. Nach den Wahlen 2010 stand nun doch der zuvor gestürzte Janukowitsch an der Spitze. Mit seinem Versuch, eine weitere prowestliche Ausrichtung der Ukraine zu unterbinden, erreichte er aber das Gegenteil: 2013 versammelten sich Tausende Menschen erneut auf dem Maidan, um gegen den Kurs Janukowitschs zu demonstrieren. Es kam zu einem Blutbad, Dutzende Menschen verloren ihr Leben.

Experte: Maidan-Proteste wie „Staatsstreich“ für Moskau

Letztlich floh Janukowitsch nach Russland und machte damit den Weg für einen neuerlichen Machtwechsel frei. „Nach Moskauer Lesart handelte es sich um einen vom Westen unterstützten Staatsstreich, durch den man die Ukraine ins eigene Lager ziehen wollte“, schrieb der französische Osteuropa-Experte David Teurtrie in der „Monde Diplomatique“.

Krim-Annexion läutet aktuelles Kapitel in Konflikt ein

Der Sturz des prorussischen Präsidenten ebnete den Weg für das bisher letzte große – und anhaltende – Kapitel im Ukraine-Konflikt. Anfang 2014 annektierte Moskau die für Russland strategisch wichtige Krim. Erst stimmte das regionale Parlament für einen Beitritt zur Russischen Föderation und setzte ein Referendum an. Mitte März wurde die Krim von Moskau dann offiziell zu einem Teil der Russischen Föderation ernannt. Der Westen reagierte auf die Annexion mit Sanktionen.

Im Osten des Landes kam es unterdessen zum Aufstand prorussischer Separatisten in den Regionen Luhansk und Donezk. Nach Ansicht des Westens unterstützte Moskau die Separatisten von Anfang an mit Ausrüstung und Streitkräften. Der Kreml weist das zwar zurück, räumt aber die Anwesenheit russischer „Freiwilliger“ in den Separatistengebieten ein.

Minsker Abkommen ohne Wirkung

Dieser Kriegszustand, der in den vergangenen Jahren immer wieder angefacht wurde, hält damit nun seit über sieben Jahren an. 2015 unternahm man Versuche, mit dem Minsker Abkommen die Situation zu entschärfen – die erst kürzlich wieder aktuell gewordenen Gespräche im „Normandie-Format“ führten letztlich zu einer Einigung zwischen dem damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Russlands Putin sowie den Separatisten. Doch der erhoffte Frieden stellte sich nicht ein – Waffenruhen wurden verletzt, das Abkommen hält nicht.

Putin spricht im Hinblick auf die Ukraine oft von der „russischen Welt“ („Russki Mir“): Die Plattform Dekoder erklärt den Ausdruck als „Kulturkonzept“. „Es betont die soziale Bindungskraft der russischen Sprache und Literatur, der russischen Orthodoxie und eine gemeinsame ostslawische Identität“, heißt es – und es werde zur „Legitimierung des russischen Einflusses“ in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gesehen, gerade in den Separatistengebieten in der Ukraine spielt der Begriff eine wesentliche Rolle in der Politik Moskaus.

1990 wirft Schatten auf aktuelle Situation

Fortschritte in dem Konflikt konnte auch der 2019 gewählte Politikneuling Wolodymyr Selenski nicht verbuchen. 2021 kam es immer wieder zu russischen Truppenbewegungen im Grenzgebiet, ehe die Situation gegen Ende des Jahres erneut eskalierte. So fern 1990 aus heutiger Sicht wirken mag: Die Weichenstellung damals beeinflusst die aktuelle Situation in der Ukraine wesentlich, so Markus Kaim vom deutschen Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik.

Gegenüber der ARD-Tagesschau sagte er diese Woche, dass „die Ansätze der europäischen Sicherheitsordnung, wie wir sie seit 1990 haben“ von Moskau infrage gestellt würden. „Letztlich muss man konstatieren, dass Russland wieder zu einer Politik zurückkehrt, die man Geopolitik nennt. Es findet ein Argumentieren in Einflusssphären, Interessensgebieten und traditionellen Ansprüchen statt. Solange das der Fall ist, sehe ich wenig Konsens zwischen dem Westen und Russland.“

Yayınlama: 25.02.2022
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