Doppelstaatsbürgerschaften: Wie FPÖ und Behörden Türken entrechten
Tausende türkischstämmige Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und deren Kinder und Enkel sind mit dem Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft bedroht. Die FPÖ legte den Behörden eine dubiose Liste vor, und das alleine reicht den Behörden schon, ein Verfahren einzuleiten.
Lena Schilling
Menschen, die vom Entzug der Staatsbürgerschaft bedroht sind, müssen den Behörden ihre „Unschuld“ beweisen, obwohl inzwischen schon mehrere nachweisen konnten, dass sie keine Doppelstaatsbürgerschaft besitzen.
Einige angebliche dort aufgelistete Doppelstaatsbürger_innen konnten den Besitz einer türkischen Staatsbürgerschaft widerlegen oder nachweisen, dass sie nie davon informiert wurden, dass sie eine zweite Staatsbürgerschaft hatten. Der ORF fragte auch, wie es sein kann, dass Menschen „ohne tatsächliche Beweise nur aufgrund von Annahmen“ eines Gesetzesbruchs bezichtigt werden, und, dass im selben Staat, in welchem Unschuldsvermutung gilt, Menschen mit türkischer Herkunft ihre Unschuld beweisen müssen.
Doppelstandard
Wie der Innsbrucker Rechtsanwalt Vedat Gökdemir in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung erzählte: „Unter politisch anderen Vorzeichen gingen die Behörden jedoch kulant vor und wiesen die Betroffene lediglich an, die türkische Staatsbürgerschaft wieder zurückzugeben.“ Das war 2009, als die FPÖ noch nicht so mächtig und antitürkischer Rassismus noch nicht so normal war. Dass es sich hier um nichts anderes als gehässigen Rassismus handelt, ist ganz einfach erklärt. Während Südtiroler, also italienische Staatsbürger, das Angebot einer zweiten Staatsbürgerschaft laut einer FPÖ-Initiative verliehen bekommen sollen, ohne überhaupt in Österreich zu leben, müssen Türken, die seit 40 Jahren in Österreich leben und arbeiten, darum bangen, ihre Rechte zu verlieren.
Gökdemir führt gerade ein Musterverfahren gegen die Aberkennungsverfahren durch. Zur Frage, ob es eine gesicherte Herkunft der FPÖ-Listen gibt, erklärte er: „Nein, keinesfalls. Erst hieß es, das wären Listen aus dem Erdogan-Referendum von April 2017. Es befinden sich jedoch auch Personen darauf, die schon verstorben waren. Deshalb geht man mittlerweile davon aus, dass sich die Datensätze auf die Parlamentswahlen von November 2015 beziehen. Außerdem sind die Datensätze offenbar nicht fälschungssicher. Nachweislich wurden schon etliche Fälle aufgedeckt, bei denen Personen fälschlich aufgelistet waren.“
Dieser seltsame Umstand sollte eigentlich schon für Verwunderung sorgen, aber noch größer sollte diese werden, wenn berücksichtigt wird, dass die herangezogenen Listen keine vertrauenswürdige Quelle zu sein scheint.
Diskriminierung
Betroffen sind österreichweit über 20.000 Menschen, vor allem Gastarbeiter_innen der 1960er- und 1970er-Jahre. Jene Menschen, die ihre Heimat aufgegeben und jahrelang in diesem System Steuern gezahlt und gewählt haben, jene Menschen, die den Wirtschaftsboom zu dieser Zeit überhaupt erst möglich gemacht haben und von denen sich viele als waschechte Österreicher_innen sehen.
Der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft wäre verheerend. Dies würde den Verlust von sozialen Beihilfen bedeuten, wovon vor allem Familien, Arbeiter und Arbeiterinnen betroffen wären. Diesen Menschen, denen das Leben immer schon schwer gemacht wurde, sollen alle Chancen auf ein besseres Leben verwehrt werden? Die Behörden nehmen den Betroffenen mit der Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft das Recht zu wählen, aber noch viel mehr, nämlich das Gefühl, hier ein Zuhause gefunden zu haben.
„Es fühlt sich an, als würde ein Stück Heimat verloren gehen“
Dilek Caraca erzählt im Gespräch mit Linkswende jetzt, was sie über den Entzug der Doppelstaatsbürgerschaften denkt.
Linkswende jetzt: Wie lange wohnst du schon in Österreich?
Dilek Caraca: Ich bin hier geboren, genauso wie meine Eltern. Meine Großeltern sind in den 80ern nach Österreich eingewandert. Sie wollten Geld verdienen, um meiner Mama und mir ein gutes Leben zu ermöglichen.
Was denkst du über den Besitz der Doppelstaatsbürgerschaften?
Meine Oma hatte Schwierigkeiten, weil sie beide Staatsbürgerschaften besitzt, deshalb hat meine Mama sie nie angenommen, ich auch nicht.
Wie fühlt es sich an, dass Menschen ihre Staatsbürgerschaft ablegen müssen?
Es macht mich traurig. Es fühlt sich an, als würde ein Stück Heimat verloren gehen. Jedes Mal, wenn ich meine Familie in den Sommerferien besuche muss ich ein Visum beantragen, um in meine zweite Heimat zu fahren. Ist das nicht komisch? Ich meine, ich liebe Österreich, und ich bin hier aufgewachsen, aber es fehlt einfach ein Teil.