Ehrgeiziger Plan: EU will den Krebs besiegen
Die EU-Kommission hat große Pläne für die Eindämmung von Krebserkrankungen, die bald Todesursache Nummer eins in Europa sein könnten. Lob kommt von einem Mediziner.
Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist sie eine Herzensangelegenheit: die gemeinsame Strategie der EU gegen Krebserkrankungen. Seit Amtsantritt verfolgt die ausgebildete Ärztin das Ziel, den in die Jahre gekommenen gesundheitspolitischen Ansatz der Europäischen Union aufzumöbeln. Außerdem will sie mit guten Nachrichten aufwarten, weil sie bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie und der schleppend anlaufenden Impfkampagne in den vergangenen Tagen schwer unter Druck steht.
“Während wir gegen die Pandemie ankämpfen, kämpfen viele von uns eine stille Schlacht. Die Schlacht gegen Krebs”, sagte von der Leyen in einer Videobotschaft. Nach einer Studie der Europäischen Krebs-Organisation, einem Zusammenschluss etlicher medizinischer Gesellschaften, sterben jährlich 1,3 Millionen Menschen in der EU an Krebs. Zwei Millionen neue Fälle werden jedes Jahr diagnostiziert. “Bedauerlicherweise steigt die Zahl der Erkrankungen an. Deshalb präsentieren wir heute unseren Plan. Der Kampf der Krebspatienten ist auch unser Kampf in Europa”, betonte die Kommissionspräsidentin.
Zahl der Krebserkrankungen steigt
Der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion, Manfred Weber (CSU), der im Europäischen Parlament den Plan zur Krebsbekämpfung in einer speziellen Arbeitsgruppe begleitet, zog in Brüssel diesen Vergleich: “Im letzten Jahr hatten wir drei Mal mehr Krebstote als Todesopfer durch Corona in der EU. Krebs könnte bald die Todesursache Nummer eins in Europa werden.” Allerdings hinkt der Vergleich etwas, da Corona ansteckend ist, Krebs hingegen nicht.
Fest steht: Die Zahl der Krebserkrankungen wächst stetig. “Wenn wir nichts unternehmen, wird die Zahl der Erkrankungen bis 2035 um rund ein Viertel ansteigen”, berichtet die Europaabgeordnete Cindy Franssen aus Belgien, die ebenfalls dem Krebs-Arbeitskreis des Parlaments angehört. Weber und Franssen haben ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben. “Die Ärzte sagen uns, wir können den Krebs besiegen. Das ist eine große Herausforderung, aber wir können es schaffen”, meint der Chef der größten Fraktion im Parlament.
Ungleiche Versorgung in der EU
Die EU-Kommission hat sich in der am Mittwoch vorgestellten Strategie ebenfalls große Ziele gesetzt. Mit vier Milliarden Euro will sie Forschung, Früherkennung und Behandlung von Krebs in den kommenden Jahren fördern. Besonderes Gewicht will die Kommission darauf legen, das Ost-West-Gefälle in der EU abzubauen.
In den östlichen und südlichen Mitgliedsstaaten ist die Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen schlechter entwickelt als im Westen oder Norden. Auch das hat die Studie der Europäischen Krebs-Organisation belegt. So liegt zum Beispiel die Chance, eine Krebserkrankung fünf Jahre lang zu überleben, in Schweden bei 68 Prozent, in Bulgarien dagegen nur bei 38 Prozent. “Unsere größte Sorge ist sicherzustellen, dass man überall gleichen Zugang zu hochqualitativer Versorgung hat”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Bei der Früherkennung von Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Darmkrebs will die EU-Kommission erreichen, dass 90 Prozent der Bevölkerungsgruppen, die für ein Screening in Frage kommen, bis 2025 auch tatsächlich daran teilnehmen. Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten. Während in Westeuropa die Programme voll entwickelt sind, gibt es in Bulgarien oder Griechenland keine systematischen Ansätze.
Tabakkonsum auf fünf Prozent senken
Bei der Prävention will die EU erreichen, dass im Jahr 2040 nur noch fünf Prozent der Bevölkerung rauchen. Das Rauchen ist nach Erkenntnissen von Krebsforschern mit 15 bis 20 Prozent der größte Risikofaktor für eine Krebserkrankung, den man selbst vermeiden kann. Im Moment erreicht nur Schweden den Anteil von fünf Prozent Rauchern, während es in Griechenland rund 35 Prozent sind. Außerdem sollen mehr Mädchen und Frauen gegen Gebärmutterhalskrebs geimpft werden. Weniger Alkoholkonsum, bessere Ernährung und der Kampf gegen Übergewicht sollen das Krebsrisiko für die EU-Bevölkerung ebenso senken helfen.
Netzwerk von Krebszentren
In der Behandlung von Krebserkrankungen will die EU gezielt die Entwicklung und Anwendung von personalisierten Medikamenten fördern, die auf die genetischen Bedingungen eines Patienten zugeschnitten sind. In Europa soll ein Netz nationaler Krebszentren entstehen, zu denen 90 Prozent der Bevölkerung Zugang haben sollen, um die bestmögliche Behandlung sicherzustellen.
“Zu viele Menschen haben bislang keinen rechtzeitigen Zugang zu Behandlung, Diagnose und Screening”, kritisierte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bei der Verstellung der Strategie. “Wir wollen das ändern. 40 Prozent der Krebserkrankungen könnten vermieden werden.” Die häufigsten Krebsarten in der EU sind Brustkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs und Lungenkrebs.
Stella Kyriakides wies darauf hin, dass rund zwölf Millionen Menschen in der EU ihre Krebserkrankung überlebt haben. Auch um diese Menschen müsse man sich stärker kümmern, weil sich das Leben, auch der Familie, durch Krebs radikal ändern könne. Es müsse zum Beispiel möglich sein, dass genesene Patienten Versicherungen abschließen oder Bankkredite aufnehmen könnten wie jeder andere auch. Das sei heute nicht der Fall.
Ärztepräsident Montgomery setzt auf die EU
Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Ständigen Ausschusses der Europäischen Ärzte, hält die Pläne der EU-Kommission für sehr ambitioniert. “Ganz besiegen wird man den Krebs nie, aber es ist ein wichtiger Ansatz, durch Vorsorge, durch Früherkennung und durch moderne Kombinationstherapien den Krebs so in den Griff zu kriegen, dass weniger Menschen daran sterben.”
Die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten seien heute gewaltig, so der europäische Ärztevertreter im Gespräch mit der DW. Da könne die EU viel tun, um gleichen Zugang zur Versorgung herzustellen, auch durch grenzüberschreitende Krebs-Behandlungszentren.
“Die EU kann etwas erreichen. Man sollte jetzt nicht sagen, nur weil das alles bei Corona nicht so perfekt gelaufen ist, dass es nicht des Schweißes der Edlen wert ist, der EU ein weites Feld bei der Krebsvermeidung und Krebsbehandlung einzuräumen. Sie kann da viel Positives tun, vor allem für die ärmeren EU-Staaten”, meint der Mediziner Ulrich Montgomery, der auch Ehrenpräsident der deutschen Bundesärztekammer ist./Bernd Riegert/dw.com
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