Erdogans Illusion einer neuen Weltordnung

In der Krise mit den USA wird die Türkei plötzlich von neuen Freunden hofiert: China, Russland und Katar umgarnen Ankara heftig. Doch der ewige Opportunist Erdogan ist dabei, sich und sein Land schwer zu überschätzen.

Erdogans Illusion einer neuen Weltordnung

Im 19. Jahrhundert galt das dahinsiechende Osmanische Reich als „kranker Mann am Bosporus“. Um seine Zukunft – Zerfall oder Stabilisierung – wurde in der damaligen Weltpolitik mit Höchsteinsatz gepokert. Die jetzige Lage weckt Erinnerungen an die damalige Zeit – so sehr, dass manche türkische Kommentatoren von Parallelen zur Epoche vor dem Ersten Weltkrieg sprechen, als Deutsche und Türken sich gegen den Westen verbündeten.

Wie damals schwächelt die Türkei heute, wie damals will sie aber Großmacht sein. Wie damals hängt die Zukunft der ganzen Region von der Zukunft der Türkei ab. Die entscheidende Frage ist nur: Wer wird den Türken dieses Mal zur Seite springen?

Die türkische Wirtschaft kollabiert, so sehr Recep Tayyip Erdogan seine Bevölkerung auch vom Gegenteil überzeugen will. Die Lira befindet sich im freien Fall, seit Ankara sich im Streit über den in der Türkei inhaftierten Pastor Andrew Brunson mit den USA überworfen hat. US-Präsident Donald Trump verhängte Sanktionen gegen zwei türkische Minister und erließ Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei. Und Washington hat weitere Strafmaßnahmen angekündigt, sollte Erdogan den evangelikalen Priester nicht bald freilassen.

Doch Erdogan macht keinerlei Anstalten einzulenken – im Gegenteil. Am Wochenende teilte er auf dem Parteitag seiner islamisch-konservativen Partei Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) erneut gegen die USA aus. „Einige denken, sie könnten uns drohen mit der Wirtschaft, Strafmaßnahmen, Devisenkursen, Zinsen und Inflation. Wir kennen eure Betrügereien, und wir werden euch die Stirn bieten.“ Das ist entweder der Mut eines Verzweifelten, oder aber Erdogan glaubt wirklich, er könne mithilfe seiner Verbündeten die USA erpressen.

Das Emirat Katar hatte Ankara zuvor zugesagt, 15 Milliarden Dollar in den türkischen Finanzsektor zu investieren. Bei 265 Milliarden Euro Auslandsschulden handelt es sich bei dieser Finanzspritze vom Golf aber wohl eher um einen symbolischen Beitrag.

Die Krise mit den USA ruft auch Peking auf den Plan. China hat einen Ausbau der militärischen Zusammenarbeit mit Ankara angekündigt sowie Andeutungen gemacht, die Türkei könnte vielleicht in die SCO aufgenommen werden, die Shangai Kooperations-Organisation – Chinas Alternative zur EU.

Erdogan dürfte sich mehr von einem anderen Partner versprechen: Im Laufe der vergangenen Monate hat der türkische Präsident sich zunehmend Russland angedient. Man stimmt sich zu Syrien ab, wo Moskau Machthaber Assad bei der Rückeroberung seines Landes unterstützt. Ankara, immerhin Nato-Mitglied, hat zudem für zwei Milliarden Euro russische Raketenabwehrsysteme gekauft und dabei ganz bewusst die Provokation der westlichen Bündnispartner in Kauf genommen. Erdogan kokettierte in der Vergangenheit immer wieder damit, sein Land sei nicht auf das westliche Verteidigungsbündnis angewiesen. Das sind Erpressungsversuche ohne reales Drohpotenzial, denn in Wahrheit hat Ankara keine echten Alternativen zum Westen.

Die Türkei wickelt einen Großteil ihres Handels mit dem Westen ab. Der türkische Präsident hat darum am Wochenende sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kontaktiert. Beide haben ihm versichert, dass sie die US-Sanktionen gegen die Türkei ablehnen und Ankara wirtschaftlich helfen wollen.

Was also ist nun Erdogans Strategie: Will er seine westlichen Partner nur provozieren, um den Preis für die türkische Rückkehr in die Wertegemeinschaft möglichst weit nach oben zu treiben? Oder riskiert er tatsächlich den Bruch mit seinen bisherigen Bündnispartnern, weil sich die Türkei inzwischen zu weit vom Westen entfernt hat?

Womöglich strebt der ewige Opportunist Erdogan alles gleichzeitig an. Ankara könnte den wirtschaftlichen Nutzen aus guten Beziehungen zur EU ziehen wollen, ohne deswegen Zugeständnisse in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit machen zu müssen. Und parallel dürfte er weiter versuchen, die Türkei wieder zu einer Großmacht im Nahen Osten aufzubauen, die andere Interessen als der Westen verfolgt. Dahinter steckt womöglich noch ein ganz anderes, übergeordnetes Ziel: der Traum von einer neuen Weltordnung, die die militärische und wirtschaftliche Dominanz der USA beendet. Das wäre nur mit neuen Bündnissen möglich – etwa mit Moskau und Peking.

Dahinter steht das türkische Kalkül, dass die USA langsam, aber stetig ihren Status als Hegemonialmacht in der Welt verlieren, dass alle anderen Mächte, auch die Europäer, darin Chancen für sich erkennen können und dass die Türkei in diesem Machtvakuum so viel wie möglich für sich herausschlagen muss. Für Erdogan befindet sich nicht die Türkei in der Krise, sondern Amerika. Gleich zu Beginn der Konfrontation mit Donald Trump über den in der Türkei inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson frohlockte ein Erdogan-Berater – gewiss nicht ohne Rücksprache mit dem Chef – in der regierungstreuen Zeitung „Sabah“: Trump wolle offenbar testen, wie viel Macht die USA noch haben in der Welt, und dass man ihm diese Gelegenheit geben sollte – denn das amerikanische Kartenhaus werde zusammenbrechen.

Wer so hoch pokert wie Erdogan, der läuft Gefahr, sich zu verrechnen. Keine der Alternativen Erdogans kann die USA als strategischer Partner gleichwertig ersetzen. Russland ist mitnichten ein verlässlicher Freund Ankaras und benutzt die Türkei nur als Instrument gegen die USA, als Hebel, um die Nato zu schwächen. Ähnlich verhält es sich mit China. Peking bietet den Türken vor allem wirtschaftliche Hilfen an, um die Dominanz der Amerikaner zu brechen.

Am ehesten dürften also die Europäer, und darunter vor allem Deutschland und Frankreich, daran interessiert sein, einen Kollaps der türkischen Wirtschaft zu vermeiden. Nicht zuletzt, weil die wirtschaftliche Verflechtung auch gefährlich ist für den europäischen Markt. Zudem ist die Türkei ein wichtiger Partner bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wenn Ankara seine Grenzen öffnet, würde es die Europäer damit massiv unter Druck setzen. Dieser Gefahr ist man sich vor allem in Berlin schmerzlich bewusst.

Die vollmundigen Drohungen des türkischen Präsidenten können also nicht über eine Tatsache hinwegtäuschen. Tatsächlich ist die EU Erdogans beste Chance, Trump Paroli zu bieten.

 

Yayınlama: 21.08.2018
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