Grüner Ärger über Sideletter-Leak

Der am Wochenende bekanntgewordene Sideletter zum Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und Grünen hat Potenzial für koalitionären Ärger. Denn die grüne Parteispitze geht davon aus, dass das Papier aus dem Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit für die Grünen ungünstigem „Spin“ an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Beim heutigen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) geht man allerdings davon aus, dass dieser davon nichts wusste.

Grüner Ärger über Sideletter-Leak

Das Papier, in dem diverse Personalentscheidungen detailliert zwischen den Parteien aufgeteilt wurden, enthält auch eine Abmachung zum ORF. Wie aus dem der APA vorliegende Schriftstück hervorgeht, haben die Grünen das Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden.

Mediale Darstellungen, wonach man im Gegenzug der Einführung eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen zustimmen wollte, wurden heute von Grünen-Parteichef Werner Kogler und Klubobfrau Sigrid Maurer vehement zurückgewiesen.

„Gegen Orbanisierung“

Ein weiteres Papier, aus dem Sommer 2020, teilt auch die Posten im ORF-Direktorium im Verhältnis drei (ÖVP) und zwei (Grüne) zwischen den beiden Parteien auf. Kogler und Maurer begründen das damit, dass man mit der Zustimmung dazu „einer Orbanisierung“ des ORF entgegenwirken wollte. Denn sonst hätte es durchaus passieren können, dass die Volkspartei alle Posten alleine besetzt. Das Team, das letztlich herausgekommen sei, sei jedenfalls kompetent und habe die Zustimmung aller außer der freiheitlichen Stiftungsräte erhalten.

Maurer/Kogler: Kopftuchverbot war „No-Go“

Was nun das Kopftuchverbot angeht, betonen Maurer und Kogler, dass man dieses in den Koalitionsgesprächen wegverhandelt habe, da es für die Grünen ein „No-Go“ gewesen sei. Die ÖVP habe es daraufhin über einen Erlass regeln wollen, von dem man ohnehin gewusst habe, dass dieser nie vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) halten würde. Dass er im Sideletter steht, sei Wunsch der Volkspartei gewesen, damit die Grünen nicht behaupten könnten, nichts von dem Vorhaben gewusst zu haben.

Inhaltlich ebenfalls interessant ist, dass im Sideletter die Abschaffung der abschlagsfreien Hacklerregelung fixiert ist. Dass dieser Punkt nicht ins Regierungsprogramm gekommen ist, soll ebenfalls Wunsch des damaligen Kanzlers Kurz gewesen sein. Dieser habe der SPÖ kein Kampagnenthema zukommen lassen wollen. Für die Grünen sei dieser Passus, der die frei gewordenen Mittel der Bekämpfung der Altersarmut zuschreibt, ja sogar positiv gewesen.

Nur kleinem Kreis in der Partei bekannt?

Innerparteilich brisant dürfte sein, dass offenbar nur ein ganz kleiner Kreis, aber nicht einmal das gesamte Verhandlungsteam über den Sideletter Bescheid wusste. So hielt die ehemalige Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, die seinerzeit im Verhandlungsteam saß, die Grünen aber mittlerweile verlassen hat, fest, sie habe davon nichts gewusst.

Maurer meinte am Sonntag jedoch, dass der Erweiterte Bundesvorstand über die Inhalte des Abkommens mit der ÖVP auch über den Regierungspakt hinaus informiert worden sei. Offen bleibt, wie die Parteibasis der Grünen auf die Enthüllungen reagiert. Einzelne Unmutsäußerungen sind bereits nach außen gedrungen, etwa vom ehemaligen Abgeordneten Albert Steinhauser.

Aufteilung ohne Namen

Was die Postenbesetzungen angeht, betont die grüne Spitze, dass es immer nur darum gegangen sei, kompetente Personen in Positionen zu bringen. Daher seien in dem Abkommen im Gegensatz zum Sideletter zwischen ÖVP und FPÖ keine Namen eingesetzt, sondern die Funktionen würden erst nach Ausschreibungen vergeben.

In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ sagte Kogler, manche Dinge müsse man abseits des Koalitionsvertrags „absichern“. Er meinte, dass das meiste der bisher teilweise geheimen Koalitionsabsprachen ohnehin im Koalitionsvertrag steht.

Die Vereinbarung zum Kopftuchverbot sei „zur Psychologie der ÖVP“ vermerkt worden. Es sei „das Gegenteil von dem übrig geblieben, das die ÖVP wollte“. Es sei klar gewesen, dass ein derartiges Gesetz „nie vor dem Verfassungsgerichtshof gehalten hätte“. „Wenn’s kein Gesetz gibt, kommt’s nicht weit“, so Kogler. Dass nur wenige aus seiner Partei über den Sideletter informiert gewesen wären, dafür habe er als Verhandlungsleiter mit einem ganz kleinen Team die Verantwortung gehabt.

Nehammer von Leak nicht informiert?

Dass Nehammer von dem Leak informiert war, glauben Kogler und Maurer nicht. Im Gegenteil nehmen sie an, dass auch der nunmehrige ÖVP-Chef über dieses nicht erfreut sei. Dennoch nimmt man Nehammer in die Pflicht, in seiner Partei quasi für Ordnung zu sorgen.

Die ÖVP hat sich zu den Veröffentlichungen der Sideletter bisher kaum irritiert gezeigt: Solche Abmachungen seien bei allen Regierungen üblich, hieß es unisono.

NEOS: „Schlägt dem Fass den Boden aus“

Heftige Kritik kam von NEOS: „Man kann mit guten Gründen für oder gegen ein Kopftuchverbot argumentieren, aber niemals kann man ein so sensibles Thema zur Verhandlungsmasse im Postenschacher machen“, sagte Integrationssprecher Yannick Shetty in einer Stellungnahme gegenüber der APA. „Solche ‚Deals‘ sind grundsätzlich schäbig, aber ein Abtausch Kopftuchverbot für Lehrerinnen gegen einen Top-Job im ORF schlägt dem Fass den Boden aus.“

Der FPÖ-Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss, Christian Hafenecker, verteidigte in der ZIB2 den Sideletter der türkis-blauen Regierung. Das sei Vorgabe der ÖVP gewesen, und die ÖVP mache das offenbar „standardmäßig“ in allen Regierungen. Und außerdem müsse man mit der ÖVP Zusagen schriftlich festhalten, weil man sonst befürchten müsse, dass diese nicht eingehalten würden. Das sei mit der ÖVP offenbar „nicht anders möglich“.

Zunächst ÖVP-FPÖ-Sideletter aufgetaucht, dann ÖVP-Grüne

Interessant ist auch die Entwicklung der Veröffentlichungen. Zunächst erhielten „profil“ und ORF den Sideletter der Regierungsvereinbarung von ÖVP und FPÖ von 2017. Diese enthalten teils auch konkrete Namen, etwa bei der Nachbesetzung des Verfassungsgerichtshofs, aber auch zu Posten beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH), dem Europäischen Rechnungshof, der Nationalbank (OeNB) und dem ORF.

Noch vor der Veröffentlichung am Freitag wurden den Medien auch der Sideletter der ÖVP-Grünen-Koalition zugespielt. Der Zusatz, der nun für Wirbel sorgt, wurde am Sonntag geleakt. /red, ORF.at/Agenturen

Yayınlama: 31.01.2022
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