„Ich weiß, wie schnell eine Gesellschaft auseinanderreißt“
Justizministerin Alma Zadić über ihre Kindheit, ihre Flucht und ihre außergewöhnliche Karriere in Österreich
Die Vorhänge im Ministerbüro des Palais Trautson sind ockergelb, schwer und altmodisch. Ledermöbel aus den 80er-Jahren verströmen den Charme eines Flughafens in der UdSSR.
Die Ex-Wirtschaftsadvokatin und nunmehrige Justizministerin Alma Zadić ist sichtlich überrascht, wie es hier an der Spitze der Justiz aussieht.
Dabei ist ihr Büro noch das kleinste Problem im Justizressort.
90 Millionen Euro fehlen ihrem Ministerium jedes Jahr, die Kosten für kranke Insassen oder Dolmetscher explodieren, die Gefängnisse sind eine tägliche Menschenrechtsverletzung, die Aktenverwaltung ist immer noch nicht bürgerfreundlich digitalisiert.
Dazu kommen Monsterverfahren wie die Eurofighter-Causa und ausgepowerte Ermittler.
Zadić wird all das reformieren müssen. Doch ehe sie dazu kommt, muss sie sich mit einer ungezügelten Welle an Hass auseinandersetzen. Die erste Ministerin mit Fluchterfahrung und „Migrationsvordergrund“ erhält nun Polizeischutz, weil die Hetze, die FPÖ-Politiker sowie einige Identitäre auf Facebook ausgelöst hatten, offenbar wirklich zur Gefahr geworden ist. Sie bekommt Morddrohungen.
Im ersten ausführlichen Gespräch nach ihrem Amtsantritt erzählt Zadić ungewöhnlich offen über ihren Lebensweg vom bosnischen Tuzla auf die Regierungsbank.
Falter: Frau Zadić, auf dem Tisch da hinten steht ein Glas mit der Aufschrift „Happiness-Jar“. Was ist das?
Alma Zadić: Ein paar meiner Freunde, darunter die ehemalige Abgeordnete Stephanie Cox, habem mir dieses Glücksglas geschenkt, darin sind kleine liebevolle Sprüche, Erinnerungen und Gedichte. Wenn die Hasspostings zu stark werden, kann ich da reingreifen und etwas Erfreuliches lesen.
Lesen Sie Hasspostings?
Zadić: Nein, ich versuche,- mich davon fernzuhalten. Ich rate das auch meiner Familie. Aber es gelingt nicht immer.
Können Sie noch gefahrlos einkaufen?
Zadić: Ich habe Personenschutz, das ist sehr ungewohnt für mich, aber die Polizisten machen superprofessionelle Arbeit. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass ich ihn brauchen werde. Bei allen Ministerinnen und Ministern gibt es automatisch eine Risikoanalyse. Normalerweise haben nur der Bundeskanzler und der Bundespräsident Personenschutz. Aber das Bundesamt für Verfassungsschutz ist zum Ergebnis gekommen, dass ich auch Schutz brauche.
Hätten Sie mehr Unterstützung durch Kanzler Sebastian Kurz erwartet? Er meinte in einer ersten Reaktion, man müsse den Hass aushalten und er werde auch beschimpft. Erst spät erklärte sich die ÖVP solidarisch.
Zadić: Ich bin mit Hassnachrichten und Untergriffen konfrontiert, seit ich in der Politik bin. Jetzt ist es richtig explodiert. Die Verachtung richtet sich gegen meine Herkunft, und ich wurde und werde in allen möglichen Formen beschimpft. Aber man lernt, damit umzugehen. Ich bin mit zehn Jahren nach Österreich gekommen und wurde damals damit konfrontiert. Ich bleibe stark. Es ist nämlich nur eine kleine Gruppe von Personen, die sehr laut schreit und daher dauernd gehört wird.
Kurz sagte: „Das muss man aushalten.“ Muss man das als Politikerin?
Zadić: Nein. Und ich bin nicht die Einzige, die davon betroffen ist. Es wird bei mir aber nun wahrgenommen, weil ich Justizministerin geworden bin. Sehr viele Menschen, insbesondere Frauen, sind von diesem Hass betroffen. Vor allem für jene, die aufgrund ihrer Hautfarbe und Religion diskriminiert werden, ist das alltäglich. Dagegen müssen wir endlich etwas unternehmen. Wir haben viele Ansatzpunkte im Regierungsprogramm.
Frau Bundesministerin, wir würden gerne über Ihre ungewöhnliche Biografie sprechen. Sie gelten mittlerweile als Role-Model für viele Kinder mit Fluchterfahrung. Beginnen wir in Jugoslawien, wo Sie 1984 geboren wurden. Wie haben Sie die Kindheit dort erlebt?
Zadić: Ich bin in Tuzla, einer kleinen Stadt im Nordosten Bosniens, aufgewachsen. Ich bin sehr früh politisiert worden. Man versteht als Kind ja viele Sachen nicht, aber man spürt sie. Man spürt die Spaltung, die Angst und den Hass. Eine prägende Erinnerung – weit vor Ausbruch des Krieges – war für mich, als die ganze Familie mit großer Angst Nachrichten schaute. Manche weinten, manche zitterten förmlich. Ich weiß noch, dass an einem Haus irgendein Symbol entfernt wurde. Heute weiß ich: Es war das Wappen Jugoslawiens. Wir wussten, das Land zerfällt. Ich konnte das damals nicht einordnen, aber ich spürte, dass etwas Furchtbares bevorstand.
Wie hat Sie Ihr Elternhaus geprägt?
Zadić: Meine Eltern waren sehr prägend für mich. Denn nur die Kernfamilie ist nach Österreich geflüchtet. Mein Vater hat Elektrotechnik studiert, er war Professor an der Uni in Tuzla, meine Mutter war Ingenieurin bei der Baupolizei. Wäre der Krieg nicht über uns hereingebrochen, hätte ich vermutlich Physik studiert. Aber dann entschloss ich mich für Rechtswissenschaften. Denn ich hatte immer das Gefühl, dass ich um meine Rechte kämpfen musste. Ich wollte immer wissen, was meine Rechte sind. Was darf ich und was nicht? Ich wollte mich nicht darauf verlassen, dass mir jemand sagt, was ich darf.
1992 begann der Krieg in Bosnien, er hat Ihre Kindheit radikal verändert.
Zadić: Zuerst begannen die Kämpfe in Vukovar, wir wussten, der Krieg wird nach Bosnien schwappen und eskalieren. Meine Eltern berieten sich, ob sie flüchten sollten. Tuzla war zwar nie komplett belagert, aber es wurde beschossen und umzingelt. Zwei Jahre erlebte ich dort den Krieg. Wir wussten nie, wie es weitergeht. Meine Eltern haben dann beschlossen, dass es der Papa einmal versucht. Sie sagten, wenn es klappt, kommen wir nach. Wenn er es nicht schafft, kommt er zurück … und … Ich merke, dass ich immer noch nicht richtig darüber reden kann.
Er schaffte es, nach Österreich zu fliehen.
Zadić: Ja, aber dann kam ein Embargo über Bosnien. Niemand konnte raus oder rein. Mein Vater war in Wien. Und wir konnten nicht raus zu ihm und er nicht zurück. Es war die schwierigste Phase seines Lebens. Er war in Sicherheit, und es ging ihm gut. Aber er wusste nicht, wie es uns geht.
Meine Mutter versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, die Telefone waren aber gekappt und es gab kaum Kommunikation. Schließlich schafften wir es, mit einem UN-Konvoi aus Tuzla rauszukommen. Es waren Busse und Lkw mit vielen Kindern und Müttern. Ich kann mich an die Reise nicht mehr im Detail erinnern, aber meine Mutter erzählte mir, dass wir zwei Wochen von Tuzla nach Kroatien brauchten.
Die Strecke legt man heute in drei Stunden zurück. Immer wieder haben uns unterschiedliche Militäreinheiten aufgehalten.
Ich weiß nur, dass wir spätnachts in Zagreb angekommen sind und bei einer Freundin meiner Mutter übernachtet haben. In der Früh bin ich dann wach geworden und habe endlich wieder den Papa gesehen. Das war so ein prägender Moment. Du wachst auf, der Vater ist da, und du weinst.
Sie zogen alle nach Wien. Wie waren die ersten Wochen?
Zadić: Papa hat schnell einen Job gefunden, er war ja als Elektrotechniker im Computerboom der 90er-Jahre sehr gefragt. Meiner Mutter ist es schwergefallen. Wir erlebten damals alle den Aufstieg Jörg Haiders, und wir überlegten, nach dem Krieg nach Bosnien zurückzugehen.
Doch wir wussten nicht, ob der junge Frieden halten wird oder ob wir hier in Wien bleiben können. Wir vernahmen die Berichte aus Deutschland, wo viele Geflüchtete zurückgeschickt wurden. Doch Papa hatte einen guten Job, und meine Eltern haben wegen uns Kindern beschlossen, in Wien zu bleiben.
Zuerst lebten Sie in einer kleinen Wohnung im dritten Bezirk.
Zadić: Dort war ich in einer Schule und war das einzige Ausländerkind, das nicht Deutsch gesprochen hat. Ich fühlte mich sehr vernachlässigt. Ich hatte das Gefühl, ich komme nicht durch. Die Lehrerin gab mir auch ständig das Gefühl, dass ich sitzenbleiben muss. Ich kann mich noch an eine Mathematikarbeit erinnern.
Ich habe in Bosnien gerne gerechnet, die Textaufgabe war auf Deutsch, und ich bat die Lehrerin, mir die Aufgabe zu erklären.
Doch sie sagte mir nur, ich könne das eh nicht, ich solle mich setzen. Ich wollte zeigen, dass ich was draufhabe. Doch mir wurde signalisiert: „Du gehörst nicht dazu!“ Die ersten paar Wochen habe ich auch nur ein bisschen Deutsch gesprochen und wenig verstanden. Doch ich war ein ehrgeiziges Kind und wollte das Leben so fortsetzen, wie ich es in Tuzla gewohnt gewesen war.
War die Gesellschaft gegenüber Flüchtlingen damals freundlich gestimmt?
Zadić: In der Schule im dritten Bezirk habe ich es als abweisend empfunden. Wir übersiedelten dann aber in den 15. Bezirk, wo der Ausländeranteil in der Schule viel höher war.
Der Direktor gab mir sofort Deutschförderung nach der Schule. Während die anderen Kinder regulären Deutschunterricht hatten, hatte ich auch Deutschförderung. Es gab andere Kinder mit Fluchterfahrung. Dann ging es sehr schnell. Ich musste die dritte Klasse nicht mehr wiederholen und konnte die ersten Tests mitschreiben.
Was war an der Schule anders?
Zadić: Entscheidend war der Umgang mit den Kindern, nicht der Ausländeranteil. Ich bekam Deutschförderung, und die Lehrerin war großartig. Sie bemühte sich extrem, mir den Stoff zu erklären.
Was war denn, abseits der schulischen Erfahrungen, der große Unterschied zum Leben in Bosnien für ein kleines Mädchen?
Zadić: Wir mussten unser Leben komplett neu beginnen. Wir waren allein, wir waren nur zu viert. In Bosnien war die Familie da. Tuzla war ja eine kleine Stadt, ähnlich wie Graz, wo jeder jeden kannte. In Wien wohnten wir dann in Fünfhaus und Favoriten.
Wieso klappte bei Ihnen der Bildungseinstieg?
Zadić: Es war auch viel Glück dabei, weil ich Unterstützung und Förderung bekam. Es war klar, dass Kinder, die sich anstrengen, ins Gymnasien gehen.
Aber vielen meiner durchaus begabten Freundinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien wurde eingetrichtert: Ihr gehört nicht ins Gymnasium, sondern in die Hauptschule. Es ist aber in unserem System extrem entscheidend für die weitere Karriere, ob ein Kind in die Hauptschule oder ins Gymnasium kommt.
Und auch meinen Eltern war es bewusst, dass es wichtig ist, dass die Kinder ins Gymnasium gehen. Wäre ich in der ersten Schule geblieben und dort alleingelassen worden, hätte ich wohl einen Frust gegenüber dem Lernen und gegen die Gesellschaft entwickelt.
Sie erzählten im Falter, dass Sie schon als Kind in der Straßenbahn rassistisch beleidigt wurden. War das Alltag?
Zadić: Nein, eine Ausnahme, die einen aber immer wieder herausgerissen hat. Ich machte alles, um Teil der Gesellschaft zu sein. Und dann sagt der Straßenbahnfahrer auf die Frage nach dem Weg: „Ihr Tschuschen geht nirgendwo hin.“ Ich war extrem fertig. Ich war 13 Jahre alt, das hat mich bis heute geprägt. Ich merke das ja auch jetzt.
Dieser Hass und die Morddrohungen sind schon ungewöhnlich. Die Identitären machen hier richtig Stimmung, vor allem auf Facebook. Personen mit anderer Religion, Herkunft und Hautfarbe werden oftmals als Störfaktor gesehen, gerade dann, wenn sie aufsteigen. Es ist aber auch schön, die Welle der Solidarität zu spüren.
Sie haben in Wien und an der Columbia University in New York Jus studiert und nach Ihrem Studium ein Praktikum am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), dem Haager Tribunal, gemacht. Es war der Versuch, die Balkankriege juristisch aufzuarbeiten. Was haben Sie dort erlebt?
Zadić: Ich war bei der Trial Chamber, also der Strafkammer, zum Srebrenica-Verfahren.
Meine Eltern waren dagegen gewesen, dass ich dieses Praktikum annahm. Sie fürchteten damals, dass mich die Befassung mit dem Völkermord und den Gräueltaten retraumatisieren würde.
Für mich war es aber eine Form der Aufarbeitung. Man checkt als Kind nicht alles, aber man bekommt einiges mit.
Ich wollte Informationen sammeln, sehen, hören. Ich habe so viele Zeugenaussagen von Opfern gelesen!
Ist ein völkerrechtliches Strafgericht die richtige Antwort auf die Gräueltaten?
Zadić: Ja, denn durch das Kriegsverbrechertribunal ist der Krieg in Bosnien-Herzegowina und in Ex-Jugoslawien umfassend dokumentiert worden.
Die Aufarbeitung der Geschehnisse ist extrem schwierig, die Schulen im ehemaligen Jugoslawien weigern sich noch immer, dieses Kapitel aufzumachen.
Ich bin mir aber sicher, dass die kommende Generation Fragen stellen wird. Und sie wird auf diese Dokumente, auf diese Files, ja auf dieses umfassende Archiv zurückgreifen können. Der Krieg ist ja erst 25 Jahre her.
Sie haben nach Ihrem Universitätsabschluss eben am ICTY und für die Internationale Organisation für Migration gearbeitet.
Gelandet sind Sie schlussendlich bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Von den Menschenrechten zur Anwaltei der Großkonzerne ist es ein großer Sprung. Warum haben Sie ihn unternommen?
Zadić: Ich habe an der Columbia University in New York zwar mithilfe von Stipendien studiert, für die wahnsinnigen Lebenshaltungskosten in New York musste ich aber einen Studienkredit aufnehmen. Ich bin in eine Kanzlei gegangen, um die Schulden bezahlen zu können. Und dann hat es angefangen, bei Freshfields auch Spaß zu machen.
Freshfields gehört zu den vier mächtigsten Wirtschaftskanzleien der Welt.
In Deutschland steht einer ihrer Partner vor Gericht, weil er in die Cum-Ex-Geschäfte involviert gewesen sein soll, in Österreich haben sie den Deal zwischen dem Immobilienkonzern Vonovia und der Buwog orchestriert. Vonovia, das ist der Miethai, gegen den die Grünen 2015 noch mit aufblasbaren Plastikhaien durch die Stadt gezogen sind.
Was haben die Grünen zu Ihrer beruflichen Vergangenheit gesagt?
Zadić: Die Grünen haben mich sehr herzlich aufgenommen.
Auch in der Wirtschaftskanzlei geht es letzten Endes um das Handwerk. Man lernt in einer Großkanzlei irrsinnig viel. Zum Beispiel, wie man mit vielen Akten und großen Prozessen umgeht, wenn zum Beispiel internationale Konzerne gegeneinander prozessieren.
Oder aber es ziehen diese internationalen Konzerne auf Basis von Investitionsschutzabkommen – gegen oft arme Staaten – vor Schiedsgerichte. Das haben die Grünen immer kritisiert.
Zadić: Auch ich finde den Investitionsschutz aus vielerlei Gründen problematisch. Nicht per se wegen der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern wegen der ausverhandelten Verträge.
Dort sind durchaus Klauseln festgeschrieben, die gerade Entwicklungsländer zu Sachen zwingen, die nicht in Ordnung sind. Da gibt es auch unter internationalen Anwälten eine Bewegung, dass diese Vertragsbedingungen fairer ausgestaltet werden sollen.
Es ist Sommer 2017, Sie sitzen bei Freshfields, die Schulden sind abbezahlt, Sie haben Freude an der Arbeit.
Sie könnten an Ihrer Karriere arbeiten, internationale Verfahren machen, viele hunderttausend Euro verdienen. Warum entscheiden Sie sich für Peter Pilz und seine Truppe, von der man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt in den Nationalrat kommt?
Zadić: Die Unternehmerin Stephanie Cox hat mich damals angesprochen. Ich kannte sie von der Organisation der Global Shapers (ein internationales Netzwerk junger Menschen, gegründet vom Genfer Weltwirtschaftsforum, Anm.). Cox hat mir von dieser neuen Partei erzählt, bei der sie mitmache, und ich habe ihr meine rechtliche Unterstützung angeboten. Ich selbst war bis dahin nie parteipolitisch aktiv gewesen, habe mich aber immer den sozialen Werten und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt verpflichtet gefühlt.
Was mich extrem prägt und was viel mit dem Krieg zu tun hat, ist das Wissen, wie schnell politische Akteure es schaffen, eine Gesellschaft auseinanderzureißen. Man blicke nur nach Bosnien-Herzegowina, einem einst durch und durch verwobenen Land. In Sarajevo hat man immer gesagt: „Wir sind so durchmischt, zu uns kommt der Krieg nie.“ Er kam. Es ging dann für die Liste Pilz um mehr als um Rechtsberatung. Und ich wollte mir die Chance mitzugestalten nicht nehmen lassen.
Das österreichische Parlament hat Sie nicht immer freundlich empfangen. Sie fühlten sich zwischenzeitlich von den Zwischenrufen „niedergebrüllt“. Besonders die FPÖ arbeitete sich an Ihnen ab. In der Sondersitzung zur Causa BVT am 11. Juni 2018 ergingen nicht weniger als 30 Zwischenrufe in Ihre Richtung. In acht Minuten.
Zadić: Es war am schlimmsten, wenn ich zum Thema „Sicherheit“ sprach. „Frau Zadić darf Österreich nicht schlechtmachen“, so hieß es. Aufgrund meiner Herkunft wurde mir das Recht abgesprochen, Missstände zu benennen. Aber ich bin eine österreichische Politikerin, die ins österreichische Parlament gewählt wurde!
Manchmal traf es Sie doppelt: Der Zwischenruf „Alma, bei mir bist du sicher“ vom FPÖ-Abgeordneten Wolfgang Zanger während besagter Sitzung war sexistisch und rassistisch zugleich.
Zadić: Dieser Zwischenruf kam kurz nach einem „Wir sind hier nicht in Bosnien!“. Ich habe ihn erst gar nicht gehört. Gut so. Dieser Kommentar hätte mich sicher total aus der Fassung gebracht. Die Bosnien-Aussage kannte ich ja schon. Die kam öfters.
Sie sind jetzt Justizministerin und nolens volens Role-Model. Wie bringt man das unter einen Hut? Auf der einen Seite die Angriffe, auf der anderen Seite die marode Justiz, wo jährlich 90 Millionen Euro fehlen, um den Betrieb sicherzustellen. Wo 9000 Häftlinge im Gefängnis sitzen und 600 psychisch schwer Kranke. Kann man beide Rollen ausfüllen?
Zadić: Hassnachrichten bekomme ich, seitdem ich Politikerin bin. Ich habe gelernt, die Energie aus den vielen positiven Kommentaren, und die gibt es ja auch zuhauf, zu schöpfen.
Sie werden viel Energie brauchen. Laut Ihrem Vorgänger Clemens Jabloner stirbt die Justiz einen „stillen Tod“. Wie wollen Sie Finanzminister Gernot Blümel dazu bringen, Ihnen die notwendigen Mittel zuzugestehen? Ihre Vorgänger haben das allesamt nicht geschafft.
Zadić: Es stehen die Budgetverhandlungen jetzt erst an. Clemens Jabloner hat alle Probleme umfassend dokumentiert, darauf baue ich auf. Jeder weiß, dass der Justiz Ressourcen fehlen. Im Regierungsprogramm schreiben wir von einer „ausreichende Ausstattung der Justiz“. Es wird Reformen brauchen.
Die Causen Meinl, Telekom, Hypo, Eurofighter, die Casinos-Affäre, Heinz-Christian Strache, Ibiza, das alles liegt auf dem Tisch der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Die Staatsanwälte sprechen von einem „Super-GAU“ und streiten mit dem mächtigen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek. Jabloner schreibt von „beträchtlichen internen Turbulenzen in den Staatsanwaltschaften“, von einer „dissonanten“ Stimmung. Was werden Sie tun?
Zadić: Ich werde das Gespräch mit allen zuständigen Akteuren suchen. Ich stehe natürlich auch im Kontakt mit Christian Pilnacek, ich werde auch mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sprechen.
Es wird notwendig sein, hier möglichst sachlich die nächsten Themen anzugehen.
Waren Sie schon einmal in einem österreichischen Gefängnis zu Besuch?
Zadić: Ich war im Rahmen meiner Gerichtspraxis dem Landesgericht Wien zugeteilt. Ja. Aber in einem Gefängnistrakt bei den Insassen war ich noch nie.
Schauen Sie sich das an?
Zadić: Auf jeden Fall.
Wer sind Ihre justizpolitischen Vorbilder? Fühlen Sie sich als Nachfolgerin Christian Brodas, des großen Justizreformers, oder sind Sie für eine Reform in kleinen Schritten?
Zadić: Die Justiz ist zentral in der Gesellschaftspolitik und spielt eine wichtige Rolle in der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit.
Für mich sind Leitgedanken, dass es eine starke Justiz braucht. Das sichert auch die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte.
Diese haben mich geprägt und beeinflussen mein gesamtes, auch berufliches, Verhalten. Wir müssen in der Justiz moderner, unbürokratischer, bürgernäher werden.
Werden Sie einen Generalsekretär einsetzen?
Zadić: Das muss ich mir noch überlegen.
Welches Buch würden Sie einem jungen Juristen schenken? Welches Buch hat Sie geprägt?
Zadić: Bücher ermöglichen es einem, nah an der Gesellschaft zu sein. Das ist für einen Juristen entscheidend, wenn es darum geht, das Recht anzuwenden.
Auf meinem Nachttisch liegt „The Book of Joy“ des Dalai Lama und Desmond Tutu. Es tut gut, abseits des ganzen Politischen immer wieder den Boden zu fassen.
Man muss auch über andere Dinge nachdenken. Über das Dasein. Über Glück./www.falter.at