Jung-Terrorist: Chronologie einer Nicht-Abschiebung
Türkischer Bub wollte als 14-Jähriger den Westbahnhof sprengen, Gericht muss seine Entwicklung prüfen
Er war der jüngste IS-Anhänger in Österreich, der wegen terroristischer Verbrechen verurteilt worden ist: Mertkan G. war 14 Jahre alt, als er Kontakt zum „Islamischen Staat“ aufnahm, sich Baupläne für eine Sprengvorrichtung beschaffte und plante, diese am Wiener Westbahnhof zu zünden.
Inzwischen ist der türkische Staatsbürger 18 Jahre alt, hat seine Strafhaft abgesessen und lebt wieder mit Mutter und Schwester in St. Pölten. Der Vater wurde längst in die Heimat ausgewiesen, weil er gegen die Mutter gewalttätig geworden war. Der Rest der Familie wird mit einer „Rot-Weiß-Rot“-Karte (befristete Aufenthaltsbewilligung) hier geduldet.
Wegen seiner schweren Straftaten sollte Mertkan G., der im Alter von fünf Jahren nach Österreich gekommen ist, allerdings in die Türkei ausgewiesen werden.
Dort kennt er niemanden (mehr) und kann sich nicht verständigen, weil daheim Deutsch gesprochen wird.
Sein Fall zeigt exemplarisch, welche Hürden sich bei der Abschiebung rechtskräftig verurteilter Straftäter auftun.
26. Mai 2015 Mertkan G. wird zu zwei Jahren teilbedingt (davon acht Monate unbedingt) verurteilt.
12. Juni 2015 Nach Verbüßung von zwei Drittel seiner Freiheitsstrafe wird der knapp 15-Jährige bedingt entlassen.
28. April 2016 Mertkan wird erneut verurteilt, diesmal zu 20 Monaten unbedingter Haft, weil er weiterhin Propaganda für den IS gemacht hat.
25. Jänner 2017 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Aysl (BFA) erlässt einen Abschiebebescheid.
September 2017 Mertkan G. wird aus der Strafhaft entlassen. Eine vorzeitige bedingte Entlassung wurde diesmal abgelehnt.
3. Jänner 2018 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gibt der Beschwerde des inzwischen 17-Jährigen gegen den Bescheid Folge und erklärt die Ausweisung für unzulässig.
Der Jugendliche sei damals in eine Entwicklungskrise geraten, woraus sich eine „Manipulierbarkeit durch den islamistisch-extremistischen Personenkreis“ ergeben habe. Während seines ersten Haftaufenthalts habe er sich noch nicht „von diesem Gedankengut zu distanzieren vermocht“.
Während der zweiten Inhaftierung in der Jugend-Justizanstalt Gerasdorf sei ihm aber „unter Einwirkung der dortigen sozialpädagogischen und psychologischen Betreuungsmaßnahmen eine nunmehr anhaltende Distanzierung sowie die Entwicklung einer positiven Zukunftsperspektive gelungen.“
Das Gericht überzeugte sich durch die Berichte von Betreuungspersonen und durch das persönliche Auftreten des Jugendlichen.
26. April 2018 Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gibt dem BFA, das gegen das Urteil des BVwG Revision eingelegt hatte, Recht und verweist die Sache zurück an das Gericht. Diesem wird aufgetragen, sich mit den Berichten über die Entwicklung des inzwischen 18-Jährigen näher auseinanderzusetzen.
Das Höchstgericht sieht die Gefährdung durch einen verurteilten Rechtsbrecher als Angelpunkt, wenn es um seine Ausweisung geht.
Wobei es bei der Prognose auf das zu erwartende zukünftige Verhalten ankommt.
„Zurückliegendes Fehlverhalten kann also nur insofern beachtlich sein, als es den Schluss auf weitere zu befürchtende gefährliche Verhaltensweisen zulässt“, schreibt das Höchstgericht.
Der VwGH verlangt eine gesicherte Beurteilungsgrundlage, ob sich Mertkan G. seit seiner Haftentlassung vor acht Monaten positiv entwickelt hat.
Hat er? Die im Gefängnis begonnene Malerlehre kann Mertkan G. bisher nicht fortsetzen, weil er keine Lehrstelle findet, so lange das Aufenthaltsverbot in Schwebe ist. Er kümmert sich fürsorglich um Mutter und Schwester, aber Perspektive ist das keine.
Psychotherapie, Deradikalisierungsprogramm und Bewährungshilfe laufen zur Zufriedenheit.
Wobei sich die Betreuer mit einer Zukunftsaussicht schwer tun, wenn ihm der Staat ständig vermittelt, dass er hier unerwünscht ist. Ein Dilemma.