Klassenkampf

Kein Wissenschafter verteidigt das Pädagogik-Paket der Bundesregierung. Ein Ideologie-Paket nach dem Bauchgefühl des Ministers.

Klassenkampf

Christian Rainer

Ich habe mich ernsthaft bemüht. Ich habe versucht, einen Wissenschafter zu finden, der mir den Sinn jenes Pädagogik-Paketes erklärt, das Minister Heinz Faßmann eben gestemmt hat.

Ich habe telefoniert, gemailt und eine SMS verschickt.

Einen habe ich gefunden: Heinz Faßmann.

Das lässt verschiedene Schlüsse zu: Entweder sind alle Wissenschafter abseits des Wissenschaftsministers parteipolitisch dort verortet, wo die Regierung ohnehin sämtliche

Kritiker vermutet – irgendwo zwischen Havanna und der Wiener Löwelstraße, also links.

Oder die Schulpolitik der Regierung beruht nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern ist der Ideologie und damit der eigenen Klientel geschuldet.

Lassen wir in aller Fairness zunächst den Überbringer des Paketes zu Wort kommen, lassen wir ihn den Inhalt seiner Postsendung mit Zahlen und Fakten untermauern. Soweit ich es überblicken kann, hat der Minister sich auf “die Anrufe vieler Eltern im Ministerium” berufen.

Diese hätten telemündlich nachgerade um “die Wiedereinführung der Ziffernnoten” gerungen. 

Überdies habe es zahlreiche “E-Mails von Eltern” gegeben und – für eine konservative Regierung sicher gewichtig – die Erinnerung an “bewährte frühere Praktiken”.

Nicht zu vergessen auch Faßmanns persönliches, über Jahrzehnte geschliffenes akademisches Rüstzeug: Er “glaube an die Mittelschule”.

Fazit: Wissenschaftlich ist das eher nicht.

Aber der Bildungsminister ist ja auch kein Bildungswissenschafter, das wäre wohl zu viel verlangt.

Er ist Professor für Angewandte Geografie, Raumforschung und Raumordnung. Sicher kann er uns demnächst die Hauptstädte der 193 UN-Mitglieder fehlerfrei benennen.

Abseits des einsamen Herrn Faßmann haben sich allerdings mehrere einschlägig Beschlagene zu Wort gemeldet.

Sie zeigen wenig Verständnis für dessen Pläne.

Sind sie “links”? Möglich ist alles, ich habe in ihrer Vita freilich vergeblich nach den Ernteeinsätzen in Nicaragua und den Strandurlauben in Nordkorea gesucht.

Was sie sind: Sie sind hochprominent in ihrer Branche.

Da ist zum Beispiel Andreas Schleicher. Als Deutscher macht er sich einer Einmischung in die österreichische Innenpolitik wenig verdächtig, und als Leiter des Direktorats

für Bildung der OECD und Koordinator der PISA-Studien dürfte er über ein Mindestmaß an Fachwissen verfügen.

 Schleicher kritisiert vieles, unter anderem seziert er die Filetstücke der schwarz-blauen Pläne: “In keinem der erfolgreichen Bildungssysteme gibt es Klassenwiederholungen.”

Ebenso unüblich seien “verschiedene Schulformen”, wie sie nun durch die Mittelschule mit einer Art A- und B-Zug parallel zum Gymnasium festgeschrieben werden.

Die Inhalte zerstörten “das Selbstkonzept der Kinder” und begründeten “eine negative Schulkarriere”.

Auch Karl Heinz Gruber ist kein Dilettant, vielmehr ist er Altordinarius für Vergleichende Erziehungswissenschaften der Universität Wien.

Er nimmt sich (in einem “Standard”-Text) kein Blatt vor den Mund. Das Pädagogik-Paket sei ohne jede “für ein europäisches Land normale” Strategie erstellt worden: keine Bestandsaufnahme, keine Sichtung von Forschungsergebnissen.

Die Inhalte zerstörten “das Selbstkonzept der Kinder” und begründeten “eine negative Schulkarriere”. 

Die Mittelschule sei eine “halbherzige und unglaubwürdige Altlast”, mit ihrer Beibehaltung unterliege der Minister auf Basis der vorhandenen “Evaluierungsberichte einem für einen Sozialwissenschafter peinlichen und fatalen Irrglauben”.

Und schließlich Stefan Hopmann, Professor für Bildungswissenschaft an der Universität Wien (und Vortragender an Unis in 15 anderen Ländern). Er ist als Deutscher auch kein Mitglied einer SPÖ-Vorfeldorganisation.

Hopmann ging im ORF-Interview mit den Vorhaben der Regierung hart ins Gericht.

“Sitzenbleiben” und “Ziffernnoten” in der Volksschule seien “eine gegen jeden Forschungsstand sprechende Entscheidung”, die Leistungsgruppen würden “die sozialen Trennwände wieder deutlich verstärken”, die Mittelschule dränge “Randgruppen weiter an den Rand”.

 “Das Pädagogik-Paket ist Symbolpolitik, es ist Sozialpolitik mit anderen Mitteln”, so Hopmann.

Womit wir gemeinsam mit Hopmann und den beiden anderen Wissenschaftern ohne Umschweife und ohne Wertung zu diesem Schluss kommen können: Das Pädagogik-Paket ist ein Ideologie-Paket.

Es ist dem Klassenkampf der Volkspartei geschuldet.

Persönlich würde mich dann bloß noch interessieren, warum die Arbeiterpartei FPÖ das mitträgt.

Und noch viel mehr: warum Heinz Faßmann sich dafür hergibt.

bild:virgül.at

Yayınlama: 12.10.2018
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