Konsum in der Krise: Wofür die Österreicherinnen und Österreicher Geld ausgeben

Die Corona-Krise lässt den Konsum deutlich einbrechen. Hat die Krise das Potenzial, unsere Kaufgewohnheiten langfristig zu ändern?

Konsum in der Krise: Wofür die Österreicherinnen und Österreicher Geld ausgeben

Der Standard | Verena Kainrath, Philip Pramer, Olivera Stajic

Die Erkenntnis kam vielen in der Jogginghose auf der Couch. Dabei war die Debatte keineswegs neu: Ausufernde Konsumgewohnheiten zerstören die Umwelt, beuten Menschen aus, machen teilweise sogar unglücklich. Trotz des schlechten Gewissens und des schalen Gefühls, dass immer mehr nie genug ist, wurde weitergekauft.

Erst am vorläufigen Höhepunkt der Corona-Krise, umgeben von letzten Hamsterkäufen vor dem Lockdown, wurde vielen bewusst, dass sie das meiste Zeug nicht brauchen – und, nach Blick auf die erste Kurzarbeitsgehaltsabrechnung, sich vielleicht auch gar nicht mehr leisten können.

Zerstreuung, Entspannung, Freiheit und gutes Gewissen gibt es auch zum Nulltarif, wurde vielen allmählich bewusst. Backen, Nähen und Reparieren boomten ebenso wie Sport zu Hause oder in der kostenlosen Natur. Auch nach Ende der Ausgangsbeschränkungen blieb der Run auf die Geschäfte größtenteils aus. Aber würde uns Konsumverzicht als Gesellschaft weiterbringen? Welche Auswirkungen hätte das auf die Wirtschaft? Und vor allem: Ist die neue Enthaltsamkeit wirklich von Dauer?

Die Hälfte will verzichten

Glaubt man einer aktuellen Studie der Universität für Bodenkultur Wien (Boku), dann ja. 52 Prozent der Befragten gaben im Mai an, dass sie sich nach den Erfahrungen der Ausgangsbeschränkungen vorstellen könnten, den eigenen Konsum bewusst zu reduzieren – und zwar aus Klimaschutzgründen. Eine ähnliche Umfrage im Jahr zuvor zeigte, dass freiwilliger Konsumverzicht überwiegend aus Ich-bezogenen Gründen stattfindet, also etwa um abzunehmen oder Geld zu sparen.

Nach dem Lockdown dürfte der Verzicht nun für viele einfacher fallen – zumindest behauptet das ein Drittel der Befragten der Boku-Studie von sich. Konkret nannten sie Shopping ohne Bedarf, Flugreisen und Kleidung.

Das ist natürlich einfacher gesagt als getan. Aber führt die Krise wirklich nachhaltig zu einem Umdenken? Ökonomen wie Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) zweifeln daran. Allein die Finanzkrise habe das Gegenteil bewiesen. Ehe man es sich versah, kippten die Menschen in ihre alten Verhaltensmuster zurück. Von Sättigung war keine Spur. Und selbst wenn Länder wie Österreich den Verbrauch ihrer Ressourcen drosseln, werde das von wirtschaftlich weniger entwickelten Staaten kompensiert, die nach höheren LebensStandards streben, gibt Hofer zu bedenken.

Kein radikaler Systemwandel

“Ich glaube nicht, dass Corona in einem luftleeren Raum Trends auslöst. Diese Krise kann als Beschleuniger, Katalysator, aber auch Bremser wirken für Trends und Entwicklungen, die sich schon länger abzeichnen”, sagt Hannes Fernow, Markt- und Zukunftsforscher beim Marktforschungsinstitut GIM. Aus der wertebezogenen Forschung, die GIM betreibt, lässt sich ablesen “wie stabil unsere Werte sind, anders als unsere Bedürfnisse”, sagt Fernow. Es gebe lediglich Nuancen, die sich verschieben. Es sei aber zu beobachten, dass es seit den Nullerjahren “ein Umdenken, einen neuen Ernst” gibt.

Einen kompletten und radikalen Systemwandel, wie einige ihn jetzt beschwören wollen, sieht Fernow nicht, eher einen Trend zum verantwortungsvollen Genuss. “Corona steht für eine Zeit des Reflektieren und Überdenkens, die Krise beschleunigt die Fragen der Nachhaltigkeit und die Fragen des Konsums.” Derzeit würden die Gegenpole in unsere Gesellschaft besonders sichtbar, so Fernow: “Hedonismus einerseits, nach dem Lockdown will man Genuss und sich was gönnen. Aber einhergehend mit dem Risikobewusstsein für die Gesundheit, für den Planeten, die Umwelt und dem Bewusstsein für Produktionsbedingungen unserer Konsumgüter.”

Doch reicht das Wissen um Produktionsbedingungen und Umweltschäden aus, um uns zum nachhaltigen Konsum zu bewegen? Bisher haben Konsumenten ihre vermeintliche Macht, die Welt zu verbessern, selten genutzt. Das Kaufverhalten spiegelte nur bedingt Wertvorstellungen wider. Skandale, ob bei Lebensmitteln oder Arbeitsbedingungen, lenkten Kaufströme nur kurzfristig um. Zu komplex und intransparent ist die Welt, um beim Einkaufen über Gut und Böse abstimmen zu lassen. Neben Selbstverwirklichung und Verantwortung wird Kaufverhalten nach wie vor primär von Bequemlichkeit, Convenience und Niedrigpreisen dominiert.

Kein Konsumentenpranger

Ohnehin liegt es nicht in den Händen von Konsumenten, die Welt besser zu machen. Das wissen auch Klimaschutzbewegungen wie Fridays for Future. Nicht die Vielflieger, Rindfleischesser, SUV-Fahrer und Kohlestromkonsumenten haben die Aktivisten im Visier – auch wenn sich diese oft angesprochen fühlen. Den Erdölkonzernen, Plastikproduzenten und Fast-Food-Ketten schlägt ebenfalls weniger Hass entgegen als in früheren Jahrzehnten. Nein, der Zorn konzentriert sich fast allein auf jene Schaltstellen, die Umweltzerstörung zulassen oder sogar fördern – und diese liegen in der Politik.

Sie hat, überspitzt formuliert, dafür zu sorgen, dass wir vor dem Supermarktregal nicht erst am Smartphone recherchieren müssen, welches Produkt mit gutem Gewissen im Einkaufswagen landen darf. Lieber das plastikummantelte Bio-Obst oder das unverpackte aus konventionellem Anbau? Erneuerbare Energie aus Speicherkraftwerken, die Täler zerstören? Oder den Strom aus Kleinwasserkraft, die als ineffizient kritisiert wird? Biosprit, Elektro- oder Wasserstoffauto? Emissionen kompensieren oder nicht? Ethisch korrektes Einkaufen ist ein zeitintensives Hobby, dem vergleichsweise wenige nachgehen. Noch kleiner dürfte die Gruppe sein, die aus Rücksicht auf die Umwelt oder die Allgemeinheit auf Konsum verzichtet.

Das liegt wohl auch daran, dass das Besitzen von Gütern in unserer gesättigten Gesellschaft mehrere Dimensionen hat. Es geht schon lange nicht mehr um den Gebrauchswert, sondern auch immer um den symbolischen. Deswegen ist Verzicht auch kaum möglich und gehört nicht zum Zukunftsszenario, sagen die Marktforscher und Ökonomen einhellig. Das Rezept für nachhaltigeres Wirtschaften, das in den Köpfen vieler Menschen schon lange vor der Pandemie verankert war, liegt für ihn nicht zwangsläufig im Verzicht. “Unser Konsumniveau ließe sich auch mit umweltschonender Produktion halten”, sagt Hofer.

Der Philosoph und Zukunftsforscher Fernow sieht außerdem künftig einen Wandel in Richtung mehr Transparenz seitens der Produzenten und Anbieter und mehr Partizipation für Konsumenten. So könnten 3D-Drucker günstige, personalisierte Produkte zu günstigen Preisen möglich machen. Außerdem werden wohl einige Anbieter, die den Trend zur Nachhaltigkeit nicht mitmachen, verschwinden. “Corona könnten wir in zwei bis drei Jahren in den Griff bekommen, den Klimawandel nicht”, sagt der Marktforscher. Verantwortungsvoller und minimalistischer Konsum hat also durchaus Zukunft.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Konsums wiegt schwer. Mindestens die Hälfte des Bruttoinlandprodukts basiert darauf. Er sichert Arbeitsplätze im Handel und bei Dienstleistungen wie Tourismus und Gastronomie. Geschätzt wird er vor allem wegen seiner stabilisierenden Wirkung. Mit Corona ist diese freilich Geschichte. Allein in Österreich sind eine halbe Million Menschen arbeitslos und ebenso viele in Kurzarbeit. Unzählige Selbstständige sind armutsgefährdet. Ihr finanzieller Spielraum ist damit gering. 14 Prozent der Österreicher kaufen seit Ausbruch der Krise nur noch das Allernotwendigste, ein gutes Drittel gibt in Summe weniger aus, erhob der Handelsverband in Umfragen. Sinken die Ausgaben, brechen Jobs weg. Es ist eine Spirale nach unten.

Der Mensch will konsumieren

Konsum braucht ein Klima der Zuversicht. Ohne dieses gehen auch Hebel wie niedrigere Mehrwertsteuern und Helikoptergeld ins Leere. Letzteres erhöht lediglich die Sparquote. Dass die aktuelle Krise Spuren im Handel hinterlassen wird, liegt für Rainer Will, Chef des Handelsverbands, auf der Hand – zumal dieser heuer wohl ein Drittel seines Umsatzes einbüße. Anders als nach dem Platzen der Finanzblase sei die Realwirtschaft weitflächig infiziert. Zu monetärer Schwäche komme das veränderte Verhalten der Menschen durch Masken und Mindestabstand. Einzelhändler verloren schon bisher stetig Boden an Dienstleister wie die Freizeit- und Gesundheitsbranche. “Die Branche wird neue Wege gehen müssen”, sagt Will.

Dass der Konsum auf Dauer sinkt, glaubt er nicht. Der Mensch tue natürlich gut daran, sein Glück abseits des Konsums zu suchen, letztlich aber sei er so gestrickt, dieses auch aus dem Materiellen zu schöpfen.

Yayınlama: 08.08.2020
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