MAN-Zentrale peilt Schließung in Steyr an
Nach dem Nein zu einem Übernahmeangebot geht es für die Belegschaft des MAN-Werks in Steyr in Oberösterreich quasi zurück an den Start – allerdings mit weniger Spielraum. Denn die Zentrale in München peilt nun weiter die Schließung an. Investor Siegfried Wolf, der das Werk in Steyr übernehmen wollte, bedauerte das Ergebnis und übte Selbstkritik.
MAN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Steyr stimmten am Mittwoch in einer Urabstimmung mehrheitlich gegen den Übertritt in die WSA Beteiligungs GmbH von Wolf. Mehr als 2.356 Beschäftigte waren stimmberechtigt, Leasingarbeiter und -arbeiterinnen ebenso wie das Stammpersonal. Die Wahlbeteiligung lag bei 94 Prozent. Insgesamt gab es 2.188 gültige Stimmen, davon sprachen sich 63,9 Prozent gegen den Übertritt in die WSA Beteiligungs GmbH von Ex-Magna-Chef Wolf aus, 34,9 Prozent dafür, 1,2 Prozent stimmten ungültig – mehr dazu in ooe.ORF.at.
„MAN nimmt jetzt als Konsequenz die Pläne zur Schließung des Werks in Steyr wieder auf“, hieß es vonseiten der MAN-Zentrale in München nach dem Ergebnis, das am Donnerstagvormittag verkündet wurde. Bis 2023 soll das Werk in Oberösterreich geschlossen werden. Dieser Plan wurde vergangenes Jahr publik. Als Alternative wurde der Verkauf angesehen – der nun aber in die Ferne rückt. „Wir sind vom Ergebnis wirklich sehr enttäuscht, da wir die angebotene Alternative zur Schließung als einen für alle Beteiligten sehr guten Weg angesehen haben“, sagte MAN-Personalvorstand Martin Rabe.
Betriebsrat: „Einschnitte gravierend“
Die Belegschaft habe das Konzept klar abgelehnt, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Helmut Emler. Das Konzept von Wolf sei zwar „schlüssig, die Einschnitte wären aber zu gravierend gewesen“. Das sah offenbar auch die Belegschaft so. Der Betriebsrat meinte, dass in den vergangenen Wochen viele Fragen offen geblieben seien, die auch Wolf nicht habe beantworten können.
Dass MAN das Werk nun schließen will, ist für die Belegschaftsvertretung noch nicht gegessen: „Als Betriebsrat werden wir morgen beginnen, mit MAN das Gespräch zu suchen“, so Emler. Die Schließung sei erst für 2023 vorgesehen, die Kunststofflackiererei, wo rund 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt sind, hätte sogar bis 2027 weiter für MAN arbeiten sollen. Ziel sei eine Lösung wie in Deutschland, wo die ursprünglichen Sparpläne entschärft wurden.
Politik will MAN „in die Pflicht nehmen“
Das Votum sei „Ausdruck der Enttäuschung über den Umgang des MAN-Konzerns“ mit den Beschäftigten, die sich „eine derartige Behandlung aufgrund der bisher erbrachten Leistungen keinesfalls verdient“ hätten, so Landeshauptmann Thomas Stelzer und Landesrat Markus Achleitner (ÖVP) am Nachmittag. Für sie ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Man wolle nun „den MAN-Konzern in die Pflicht nehmen, auch andere Optionen ernsthaft ins Auge zu fassen und mit weiteren Interessenten zu verhandeln“.
Es sei nicht nur zur Absicherung der Arbeitsplätze im Werk, sondern auch für den Standort Oberösterreich wichtig, dass die Produktion in Steyr erhalten bleibe, so Stelzer und Achleitner. Der Landesrat rief am Donnerstag in der ZIB2 alle dazu auf, „wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren“. Mit der derzeitigen Situation sei niemandem gedient, und „ich rufe wirklich alle dazu auf und nehme auch MAN ganz persönlich in die Pflicht, dass man jetzt Gespräche sucht, um bessere Lösungen zu finden, denn das heute ist eine Etappe, ein klares Zeichen der Belegschaft, das verständlich ist, aber es ist keine Lösung“.
Für Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) ist die Entscheidung der Belegschaft „bedauerlich, aber zu respektieren“. Sie betonte, sie werde sich „auch weiterhin für den Erhalt heimischer Arbeitsplätze und die Absicherung des Wirtschaftsstandorts“ einsetzen und appellierte an mögliche Interessenten: „Wenn es noch ernsthafte Angebote gibt, wäre es jetzt an der Zeit, diese vorzulegen.“ FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer forderte eine sofortige Krisensitzung unter Einbindung Schramböcks, um „gemeinsam mit den Verantwortlichen von MAN und der Politik in Oberösterreich eine Lösung zu finden“ und die Arbeitsplätze zu retten.
SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried sieht in Sachen Zukunft des MAN-Standortes „ein massives Versäumnis der Regierung“, allen voran von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Seit Monaten kämpfen Gewerkschaft, Betriebsrat und Bürgermeister um die Arbeitsplätze. Wo war in all dieser Zeit der Bundeskanzler?“, so Leichtfried in einer Aussendung.
Sozialpartner appellieren an Verantwortung
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und Wirtschaftskammer-Österreich-Chef Harald Mahrer appellierten Donnerstagabend in einer gemeinsamen Aussendung, rasch wieder konstruktive Verhandlungen aufzunehmen. „Das Belegschaftsvotum von MAN ist zu akzeptieren, kann aber nicht das Aus für Steyr bedeuten, das ein wichtiger Baustein am Automotive-Standort Österreich ist.“
Alle konkreten Überlegungen und Vorhaben müssten auf den Tisch, um sie zu bewerten und das Gespräch auch mit den Eigentümern suchen zu können. Neben Tausenden Arbeitsplätze gehe es auch um rund eine Milliarde des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die hier Jahr für Jahr erwirtschaftet werde. „Wir Sozialpartner unterstützen weitere Gespräche.“ Auch der MAN-Konzern habe eine große Verantwortung für die Region, für die Mitarbeiter und deren Familien.
Wolf bedauert Ergebnis
Investor Wolf bedauerte das Ergebnis der Urabstimmung. „Mein Team und ich haben unglaublich viel Herzblut in dieses Projekt investiert, weil ich überzeugt davon bin, dass mit diesem Potenzial an Know-how in der Fahrzeugproduktion an diesem Standort unter der Marke Steyr etwas Neues, Großes entstehen hätte können.“ Leider sei es ihm nicht gelungen, genügend Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten, um Missinterpretationen und Fehlinformationen entkräften zu können.
„Dabei kann ich den Zorn vieler nur zu gut verstehen. Aber auch ich konnte das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, sondern nur ein solides, durchdachtes Konzept für die Zukunft entwickeln“, heißt es in der Erklärung. Wolf hatte stets betont, eine Zukunft „mit den Mitarbeitern“ anzupeilen. „Wir haben an neuen Produkten getüftelt und detaillierte wirtschaftliche Überlegungen entwickelt, unter welchen Bedingungen wir neue konkurrenzfähige Fahrzeuge auf den Weltmarkt bringen können. Wir müssen nun dieses Votum zur Kenntnis nehmen.“ Ob das einen endgültigen Rückzug bedeutet, blieb offen.
Standortgarantie aufgekündigt
Das Werk in Steyr besteht seit 1914 und produzierte die ersten Lkw fünf Jahre später. Erst 1989 übersiedelte man unter das Dach von MAN. 1999 übernahmen die Oberösterreicher die gesamte Lkw-Fertigung der leichten und mittleren Baureihe von MAN. Darüber hinaus werden dort auch Sonderfahrzeuge sowie Komponenten für den Produktionsverbund des Konzerns gebaut, beispielsweise Fahrerhäuser.
Doch im Vorjahr war bekanntgeworden, dass MAN im Zuge eines riesigen Spar- und Umstrukturierungsprogramms Tausende Stellen einsparen will. Anfangs war von bis zu 9.500 der weltweit 36.000 Arbeitsplätze die Rede, mittlerweile sollen nur noch 3.500 in Deutschland gestrichen werden. Das Werk in Steyr stand allerdings recht bald „zur Disposition“.
Hektische Verhandlungen der Belegschaftsvertretung folgten, allerdings ohne Erfolg. Die Konzernmutter beharrte weiter auf der Schließung bis 2023 oder einem Verkauf. Ende September kündigte MAN die bestehende Standortgarantie, die den Bestand des Unternehmens in Steyr bis zumindest 2030 hätte sichern sollen.
Kürzung und Bleibeprämie
Schließlich trat Ex-Magna-Chef Wolf mit seiner WSA als Interessent auf den Plan. Er wollte von der aktuell knapp 1.900 Personen zählenden Stammbelegschaft rund 1.250 Leute übernehmen, denen allerdings eine bis zu 15-prozentige Kürzung des Nettoeinkommens drohte. Im Gegenzug sollten sie eine Bleibeprämie von 10.000 Euro erhalten, wer den Sozialplan wählte, weitere 1.500 Euro und Abfertigungen. Außerdem hatte Wolf eine Gewinnausschüttung für die Belegschaft in Aussicht gestellt.
Wenn es gutgegangen wäre und das Werk Personal gebraucht hätte, hatte Wolf zudem in Aussicht gestellt, Leute aus dem Sozialplan zurückzuholen. Der Ex-Magna-Chef plante, die Marke Steyr wiederzubeleben. Produziert werden sollten u. a. leichte Kastenwagen mit Dieselmotoren und Elektroantrieb sowie Pritschenwagen, Kastenwagen und mittlere Lkws zwischen sechs und zwölf Tonnen, von denen 10.000 Fahrerkabinen pro Jahr für das Automotive-Unternehmen GAZ nach Russland gegangen wären. Weiters sollten ein City-Bus mit Elektroantrieb und ein Bus für den Regionalverkehr gebaut werden.
Die Belegschaftsvertretung stand Wolfs Plänen abwartend bis skeptisch gegenüber. Unter anderem argumentiert man mit der Angst vor Sanktionen angesichts Wolfs Russland-Verbindungen. Man behielt sich auch eine Klage wegen der gekündigten Standortsicherung vor. Zudem liebäugelte der Betriebsrat offenbar mit einem alternativen Konzept, dem „Green Mobility Center“ eines Konsortiums um den Linzer Unternehmer Karl Egger (KeKelit). Diese hatte die MAN-Zentrale allerdings als zu wenig konkret erachtet und deshalb nicht ins Auge gefasst./orf.at