Rassismus und die Mitschuld der Medien

Würden wir uns auf die klassischen Medien verlassen, wüssten wir im Alltag nichts über die vermeintlich anderen in unserer Gesellschaft

Rassismus und die Mitschuld der Medien

Der Standard | Olivera Stajić

“Und die voyeuristische Erwartung, dass wir wieder und wieder unsere schmerzhaften Erfahrungen erzählen – in einer Art Racism Porn.

Dass wir in die Bringschuld sollen, beweisen sollen, uns nackt ausziehen sollen und unsere Narben preisgeben.

Nur damit eine Frau Maischberger, eine Anne Will oder ein Markus Lanz dann darüber fachsimpeln können, ob unsere Erfahrungen legitim seien?”

Das bewegende und kraftvolle Zitat stammt von Tupoka Ogette, einer deutschen Autorin, Antirassismustrainerin und Aktivistin.

In einem Instagram-Post beklagt sie den Umgang der Medien mit dem Thema Rassismus und mit “People of Color”. Damit spricht sie ein großes und verheerendes Problem an, das die deutschen und natürlich auch die österreichischen Medien betrifft.

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Ich erhalte dieser Tage hunderte Presseanfragen. So wie alle meine Kolleg*innen. Die meisten beginnen mit: „ Gibt es Rassismus in Deutschland und was sind Ihre Rassismuserfahrungen.?“ No.I.AM.DONE. Wir hängen in Deutschland immer wieder in der gleichen elenden Endlosschleife. Ich wurde mit exakt diesen Fragen angerufen nach Hanau, nach Chemnitz. Jedes verdammte Mal kommen die gleichen Fragen. Guess what: Es ist rassistisch zu fragen, ob es in Deutschland noch Rassismus gibt. Es ist ein Schlag ins Gesicht jeder einzelnen BIPOC Person, die in diesem Land mit Rassismus zu kämpfen hat. Es ist ein Hohn für alle Eltern, die ihre Schwarzen Kinder oder Kids of Color abends ins Bett bringen, wohl wissend, dass sie ihre Kinder nicht vor Rassismus schützen können. Es ist ein Spucken auf die Gräber von A. Adriano, O.Jalloh, W. Mbobda, oder die mehr als 183 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990. Es ist Ignoranz gegenüber Organisationen und Einzelpersonen, die seit Jahren rassismuskritische Arbeit in Deutschland leisten. Und die voyeuristische Erwartung, dass wir wieder und wieder unsere schmerzhaften Erfahrungen erzählen, in einer Art „racism-porn“. Das wir in die Bringschuld sollen, beweisen sollen, uns nackt ausziehen und unsere Narben preisgeben. Nur damit eine Frau Maischberger, eine Anne Will oder ein Markus Lanz dann darüber fachsimpeln können ob unsere Erfahrungen legitim seien? Nur um dann nach kurzer Zeit achselzuckend wieder in ein kollektives Vergessen zu fallen und bei dem nächsten rassistischen Mord die gleichen Fragen zu stellen. Ich hätte Lust zu verzweifeln. Wären da nicht die wenigen aber immer mehr werdenden Anfragen von Journalist*innen, die neue – progressivere Fragen stellen. Zum Beispiel, was wir tun können, um als Gesellschaft rassismuskritischer zu werden. Wie wir mit Kindern über Rassismus sprechen können oder wie wir als Gesellschaft eine Gesprächskultur entwickeln können, die uns aus dieser Endlosschleife rausbringt. Und wären da nicht die vielen vielen Menschen, die sich als Individuen auf die so wichtige rassismuskritische Reise begeben. Ihr gebt mir Hoffnung. An Euch denke ich. Euch danke ich.

Tupoka Ogette (@tupoka.o)'in paylaştığı bir gönderi ()

Würden wir uns lediglich auf die Informationen und Bilder verlassen, die uns klassische Medien liefern, würden wir nur bei zwei Gelegenheiten erfahren, dass in unserer Gesellschaft auch Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Sprache oder Religion leben.

Nämlich dann, wenn die Mehrheitsgesellschaft ihre Existenz als Problem wahrnimmt, Stichwort “Integrationsprobleme”. Oder in besonders tragischen, spektakulären Fällen, wenn sie Opfer von Terroranschlägen werden, wie etwa Anfang 2020 in Hanau, 2019 in Halle oder in Oberwart vor 25 Jahren.

Weiße Redaktionen und panische Reaktionen

Wenn in Informationssendungen Menschen “von der Straße” befragt werden, haben sie meistens keinen Akzent, gehören keiner Minderheit an. Wenn in Magazinen oder Talkshows gesellschaftliche oder Alltagsprobleme besprochen werden, dann kommt darin selten die Familie Mihajlović vor, die gerade Ihre Wohnung renoviert.

Es kommen keine Zeynep und kein Oyinaka zur Wort, wenn zum Beispiel über die Auswirkungen des Klimawandels auf das Leben in der Großstadt debattiert wird.

In den Redaktionen selbst sitzen mehrheitlich noch immer weiße, bürgerliche Redakteurinnen und Redakteure.

Weiter oben, in den Führungsetagen der Medien, ist das Personal außerdem überwiegend männlich und alt. Nun kommen viele Mitarbeiter der klassischen Medien und Formate derzeit ordentlich ins Schwitzen.

Wo bekomme ich auf die Schnelle Gesprächspartner, die mir erklären, “ob es bei uns Rassismus gibt”? Wie thematisiere ich Rassismus und erkläre ihn, ohne meine mehrheitlich weißen Leserinnen und Zuschauer zu verstören?

Die gewieften und jüngeren unter den Redakteuren helfen sich vielleicht, indem sie auf den Pfaden der Black-Lives-Matter-Hashtags nach Expertinnen und Betroffenen suchen.

Die etablierten Formate wie etwa Maischberger laden einfach die Üblichen ein. Und suchen nach Kritik nach einer Notlösung.

Partizipation und Repräsentation!

Die Zustände, die Tupoka Ogette im Zitat am Anfang beklagt, sind vor allem für die öffentlich-rechtlichen Medien eine Schande.

Die “Spiegel”-Kolumnistin und Autorin Ferda Ataman formulierte treffend und eindringlich: “Liebe ARD, liebes ZDF, wir – People of Color und schwarze Menschen (“Migranten”) – zahlen Gebühren und möchten uns wiederfinden. Bei allen Themen. Immer.”

Wir wollen Repräsentation und Partizipation! Migranten, ihre Nachkommen, Einwanderer, schwarze Menschen, Muslime sollen nicht nur dann sprechen dürfen, wenn sie der Mehrheitsgesellschaft erklären sollen, wie sie strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung trifft, betrifft, verletzt, am Vorankommen hindert, ihnen buchstäblich den Atem nimmt.

Sie sollen nicht nur dann in Talkshows sitzen, wenn sie sich von Terror abgrenzen sollen oder rührende Geschichten über den sozialen Aufstieg und Bildungserfolge trotz (!) Diskriminierung und Benachteiligung erzählen sollen.

Es gibt derzeit keine mediale Normalität, in der Migranten, ihre Nachkommen, Einwanderer, schwarze Menschen, Muslime ein Teil der Gesellschaft sind. Sie sind immer nur Problem und Ausnahme. Das ist ein Teil des großen gesellschaftlichen Problemkomplexes, den wir unter Rassismus und Ausgrenzung zusammenfassen.

Der Mehrheitsgesellschaft wird vorenthalten, dass sie mit den vermeintlich anderen eine Gemeinschaft bildet, in der wir alle Anspruch auf Respekt und Stimme haben.

Die vermeintlich anderen werden im Normalfall unsichtbar und stumm gemacht und in der Ausnahme zum Problem und Bürde.

© Bild: virgül 

Yayınlama: 10.06.2020
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