Reisewarnung für Tirol
Im Streit über eine Verschärfung der Maßnahmen wegen der gehäuft auftretenden B.1.351-Mutation in Tirol hat es seit Sonntag intensive Verhandlungen gegeben. Am Montag wurde von beiden Seiten getrennt voneinander ein Teil der Lösung präsentiert. Die Tiroler Landesregierung stellte ein eigenes Maßnahmenpaket vor. Das war dem Bund offenbar nicht genug: Wenig später sprach die Bundesregierung zudem eine Reisewarnung für Tirol aus.
Es sei alles zu tun, „um zu verhindern, dass sich diese Mutationen immer weiter ausbreiten“, sagte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Neben den Maßnahmen, die in Tirol zum Schutz der Tirolerinnen und Tiroler ergriffen wurden, warne die Bundesregierung daher vor Reisen nach Tirol, um eine Ausbreitung der erstmals in Südafrika nachgewiesenen Variante zu unterbinden. Die Regierung fordere von allen Bürgerinnen und Bürgern, Reisen nach Tirol auf das unbedingt erforderliche Ausmaß zu verringern, so das Kanzleramt.
„Die neuen Virusmutationen stellen uns vor große Herausforderungen, daher braucht es nun weitreichende Maßnahmen“, sagte auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Konkret warnt die Regierung vor nicht notwendigen Reisen nach Tirol und ersucht, nicht notwendige Reisen in das Bundesland zu unterlassen. Personen, die sich in den vergangenen zwei Wochen in Tirol aufgehalten haben, werden aufgefordert, sich testen zu lassen. Tiroler und Tirolerinnen, die in ein anderes Bundesland reisen, werden aufgefordert, sich unmittelbar vor Reiseantritt ebenfalls testen zu lassen.
Eigenes Maßnahmenpaket des Landes
Die Regierung rechnet damit, dass es zu weiteren Clustern mit der B.1.351-Mutation kommen werde. Entsprechend müsse dafür gesorgt werden, diese so gut wie möglich regional einzugrenzen. Mit dem Land Tirol sei vereinbart worden, dass die Situation täglich evaluiert wird. Die Tiroler Landesregierung selbst war am Montag in die Offensive gegangen und hatte ein „Maßnahmenpaket“ zur Eindämmung der Virusvariante vorgelegt.
Die Benutzung von Seilbahnen solle künftig nur noch – analog zu der Regelung für körpernahe Dienstleister – mit negativem Antigen-Test erlaubt sein. Die Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmen soll strenger überwacht werden – das betrifft Ausgangsbeschränkungen, Abstands- und Maskenpflicht und auch die Überprüfung von Zweitwohnsitzen.
Tirol will Mobilität auf freiwilliger Basis einschränken
Die Mobilität der Tiroler Bevölkerung in Österreich soll eingeschränkt werden – allerdings auf freiwilliger Basis: Die Tirolerinnen und Tiroler werden aufgerufen, „unnötige Fahrten zu vermeiden“, heißt es im Paket. An den Grenzen zum Ausland soll die neue Einreiseverordnung durch Polizei und Bundesheer kontrolliert werden. „Das Land Tirol ersucht die beiden zuständigen Ministerien um Unterstützung“, heißt es dazu.
Weiters sollen in Bezirken mit hoher 7-Tage-Inzidenz flächendeckende PCR-Tests angeboten werden. „Jeder positive PCR-Test wird in Tirol bereits bisher auf einen Mutationsverdacht untersucht“, so das Land. Kontaktpersonen von Fällen, in denen Mutationsverdacht vorliegt, sollen nur nach einem negativen PCR-Test aus der Quarantäne entlassen werden. Zudem will das Land die Alters- und Pflegeheime besser schützen und die Bevölkerung über die Virusmutation B.1.351 aufklären. Ebenfalls angekündigt wird die „tägliche Evaluierung und laufende Abstimmung“ über die Lage zwischen Bund und Land.
Fachleute für rasche Schritte
Tirol ist einer der europaweiten Hotspots der CoV-Mutation B.1.351. Die Virusvariante, erstmals entdeckt in Südafrika, dürfte ansteckender sein und kann der Antikörperantwort des menschlichen Immunsystems zumindest teilweise entkommen – was unter anderem die Wirksamkeit der bisher erhältlichen CoV-Impfstoffe mindern kann.
Expertinnen und Experten fordern daher rasche Maßnahmen, um eine Ausbreitung von B.1.351 in ganz Österreich zu verhindern. Die Gespräche darüber zwischen Ministerium und Land dürften am Sonntag sowie in der Nacht auf Montag sehr turbulent verlaufen sein.
Am Wochenende hatte eine schwarze Phalanx aus Tirol gegen Verschärfungen mobilgemacht. Die schwarzen Präsidenten von Arbeiter-, Landwirtschafts- und Wirtschaftskammer sowie alle Tiroler ÖVP-Nationalratsabgeordneten sprachen sich in einer gemeinsamen Aussendung gegen diese aus und forderten dieselben „bedachtsamen Öffnungsschritte“ für Tirol wie für den Bund.
Experte: 300 bestätigte B.1.351-Fälle in Tirol
Schon die Interpretation der Mutationszahlen trennt Bund und Land. Tirol gibt an, die Situation im Griff zu haben, und verweist auf rückläufige Infiziertenzahlen sowie die momentane Eingrenzbarkeit der Mutationsfälle. Zudem würden derzeit ohnehin nur acht aktiv positive B.1.351-Fälle vorliegen. Insgesamt meldete das Bundesland 165 bestätigte Fälle. Bei 230 weiteren Fällen liege ein Verdacht vor. Laut dem Molekularbiologen Ulrich Elling, der an den Sequenzierungen beteiligt ist, kann man davon ausgehen, dass sich um die 90 Prozent der mittels PCR gefundenen Verdachtsfälle als tatsächliche B.1.351-Fälle erweisen werden.
Die vom Land Tirol genannte Zahl von nur acht aktiven B.1.351-Fällen hält der Genetiker Andreas Bergthaler für unrealistisch. Für Elling ist die Argumentation mit den vermeintlich nur acht aktiven Fällen irreführend. Die Methode der Sequenzierung sei nämlich dazu da, das Geschehen im Land zu beobachten, nicht jedoch, um aktive Fälle zu bestimmen. Mindestens 293 per Ganz- oder Teilgenomsequenzierung bestätigte Proben seien bisher in Tirol aufgetaucht, sagte Bergthaler der APA.
„Kein abgeschlossenes Infektionsgeschehen“
Ein klares Bild zum Verlauf der Infektionen in Tirol lasse sich zurzeit trotzdem nur schwer herauslesen. „Man muss aber sehr wohl vermuten, dass man weiterhin kontinuierlich positive Fälle der Südafrika-Variante findet. Das ist kein abgeschlossenes Infektionsgeschehen. Was aber nicht klar ist, ist der Trend – ob es also mehr oder weniger wird“, sagte Bergthaler.
Dass es nun aber nur acht gesichert nachgewiesene aktive Fälle mit der Variante gibt, sei dementsprechend unwahrscheinlich, weil man eben mit der Erbgutaufschlüsselung Tage bis Wochen hinterherhinke. Bergthalers Informationsstand nach gibt es derzeit rund 200 Verdachtsfälle auf die Variante. Allein zwischen 1. und 4. Februar wurden dem Vernehmen nach mehr als 70 potenzielle Fälle entdeckt.
Bei den neun weiteren bereits durch Sequenzierung bestätigten B.1.351-Proben aus anderen Bundesländern handle es sich „in der Regel um Einzelfälle wie in Wien“, sagte Bergthaler. Hinter diesen könnten sogar noch weniger Infektionsfälle stecken, weil es zu Doppelbeprobungen gekommen sein dürfte, so der Forscher.
Kritik der Opposition
Kritik kam am Montag von der SPÖ: „Wo ist jetzt eigentlich der ach so harte Krisenmanager Sebastian Kurz?“, fragte Gesundheitssprecher Philip Kucher. „Monatelang inszenierte er sich als Kapitän eines Schiffes, aber kaum gibt es parteiinternen Gegenwind, gibt er das Ruder aus der Hand und versteckt sich unter Deck“, so Kucher. Er warf dem Kanzler „tatenloses, beinahe schon ohnmächtig anmutendes Zusehen und Aus-der-Verantwortung-Stehlen“ vor. Die gefährlichere südafrikanische Mutation dürfe sich unterdessen offenbar „munter weiterverbreiten“.
FPÖ-Chef Norbert Hofer warf der Regierung vor, die „Tirol-Frage” verschlafen zu haben. Seit mehreren Tagen herrsche im Gesundheitsministerium ein „rasender Stillstand“, während von Tiroler ÖVP-Granden eine Warnung nach der anderen in Richtung Wien abgefeuert werde. „Die Causa Tirol zeigt, wie schwach die Rolle des Gesundheitsministers in der Krisenbewältigung ist. Obwohl die offenbar ansteckendere Südafrika-Mutation schon vor rund zwei Wochen im Westen nachgewiesen wurde, ist rein gar nichts passiert“, so Hofer. Jetzt noch über die Abriegelung des gesamten Bundeslandes zu beraten, sei sinnlos, „zumal sich das Virus wohl schon längst über die Landesgrenzen hinaus verbreitet hat“.
Bayern: Grenzschließungen nicht auszuschließen
Trotz der großen Sorge in Deutschland wegen der CoV-Lage in Tirol hält Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek Grenzschließungen weiter für noch nicht angemessen. „Grenzschließungen kann man als Ultima Ratio nicht ausschließen. Aber zunächst gilt es, den Grenzverkehr auf das notwendigste Maß zu reduzieren“, sagte der CSU-Politiker. Ziel müsse es sei, die Infektionsketten über die Grenzen hinweg zu brechen, dazu müsse jeglicher Austausch hinterfragt werden./ORF