Sichtbarkeit der NS-Geschichte in der Stadt

Wie soll man mit Straßennamen umgehen, wenn sich die Biografien ihrer Namensgeber nicht von Nationalsozialismus und Antisemitismus trennen lassen? In vielen Gemeinden Österreichs wird sich diese Frage gestellt. Krems und St. Pölten wollen die Geschichte sichtbar machen.

Sichtbarkeit der NS-Geschichte in der Stadt

Der Historiker Robert Streibel wurde schon als Jugendlicher auf die Geschichte des Nationalsozialismus aufmerksam. „Meine Großmutter hat miterlebt, wie Kremser Juden schikaniert und verprügelt wurden“, sagt er. Aber die Erzählungen seiner Großmutter hätten sich nicht im Geschichtsbewusstsein seiner Geburtsstadt widergespiegelt. „Da bin ich neugierig geworden.“

Heute sitzt Robert Streibel im Historikerbeirat der Stadt Krems. Dieser berät seit 2019 über den Umgang mit Straßennamen, deren Namensgeber im Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle gespielt haben. „Es geht nicht darum, Geschichte zu tilgen oder Schuldige zu suchen. Es geht darum, Geschichte sichtbar zu machen“, sagt Streibel.

Im Zuge der Umbenennung der Maria-Grengg-Gasse in Margarete-Schörl-Gasse im April 2021 wurden daher gleich zwei Zusatztafeln unter dem neuen Straßenschild montiert, um die Biographien beider Frauen in einen historischen Kontext zu setzen – mehr dazu in Wegen NS-Bezug: Straße umbenannt (noe.ORF.at 27.4.2021).

„Zeichen setzen“

Am Ende liegt es laut Streibel an der Politik, über den Umgang mit problematischen Straßennamen zu entscheiden, wie der “orf.at” berichtet. Umbenennungen bedeuten nicht nur Kosten und bürokratisches Mühsal für Anrainer, sie müssen auch erklärt werden. „Natürlich will niemand Veränderungen und das ist die Herausforderung für Politikerinnen und Politiker“, meint Streibel. „Man will ein Zeichen setzen, aber zu viel Aufregung will man nicht haben. So gesehen sind Zusatztafeln als Alternative zu Umbenennungen positiv zu bewerten.“

In St. Pölten wurde 2007 die Wilhelm Frass-Gasse in Johann Schindele-Gasse umbenannt. 2020 kündigte der damalige Kulturamtsleiter Thomas Karl an, noch im selben Jahr an elf Orten Zusatztafeln anzubringen. Geschehen ist das bis heute nicht. Thomas Pulle, Leiter des Stadtmuseums St. Pölten, begründet das gegenüber noe.ORF.at mit neuen Zuständigkeiten im Amt. Außerdem wolle man von „Einzelmaßnahmen“ absehen. Bis spätestens 2024 sollen die Zusatztafeln aber als Teil eines „zeitgeschichtlichen Pakets“ montiert werden.

„Es braucht viel mehr Forschung“

Elf St. Pöltner Straßen und Gassen wurden bereits als problematisch eingestuft, darunter die Dr. Otto Tschadek-Straße, die Porschestraße und die Heimito von Doderer-Straße. „Das wird nicht die endgültige Liste sein. Man wird weiter untersuchen müssen“, sagt Pulle. Ein Historikerbereit nach Kremser Vorbild sei in St. Pölten aber nicht vorgesehen.

Mehr Untersuchungen sind auch für Martha Keil notwendig, die das Institut für jüdische Geschichte in Österreich leitet: „Es braucht noch viel mehr Forschung. Ich glaube viele Menschen wären überrascht, zu erfahren, wie groß die NS-Belastung von Prominenten oder verdienten Mitgliedern der Gesellschaft war. Eine biographische Recherche zu jeder Tafel wäre gut, aber das ist natürlich aufwendig.“

Yayınlama: 02.11.2021
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