Testzwang: Die Kapazitäten reichen nicht, damit sich alle freitesten
Die Regierung plant einen Lockdown mit anschließender Freitestung: Wer sich am 17. und 18.1. testen lässt, darf dann auch den Lockdown beenden. Wer nicht, muss bis zum 24. zuhause bleiben. Kritiker sprechen von Zwangstests, Verfassungsrechtler haben Zweifel. Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Um wirklich alle zu testen, fehlen die Kapazitäten.
Die erste Runde bei den Massentests war nicht sehr ergiebig: Nicht einmal ein Viertel der Menschen in Österreich hat an den Tests teilgenommen. Dazu dürften auch technische Pannen bei der Online-Anmeldung und ein Datenleck beigetragen haben.
Jetzt soll in gut drei Wochen die nächste Runde der Massentests stattfinden, ab 15. Jänner wird die Testinfrastruktur aufgebaut. Doch diesmal steht ein indirekter Zwang dahinter: Wer sich nicht testen lässt, bleibt bis zum 24. Jänner im Lockdown: Keine Geschäfte, keine Restaurants und auch das Haus darf nicht verlassen werden, außer für die vier bekannten Ausnahmen.
Infektiologe: Kein anderes europäisches Land empfiehlt Massentests
Der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Günter Weiss, sieht zu wenig Evidenz für diese Maßnahme.
„Kein anderes europäisches Land empfiehlt es. Auch das wirklich renommierte Robert-Koch-Institut etwa gibt keine Empfehlung ab“, sagt Weiss am Wochenende in einigen Medien.
Die Slowakei gilt für ihn als Negativbeispiel: „Dort ist fast die gesamte Bevölkerung hingegangen. Aber man hat nicht den Eindruck, dass es irgendetwas Positives für das Infektionsgeschehen gebracht hat.“
Kostenlose Tests vor Weihnachten sprengen die Kapazitäten
Große Zweifel gibt es aber auch an der Durchführbarkeit: Wenn Menschen mit und ohne Test derart ungleich behandelt werden, muss der Zugang für alle gegeben sein – die Durchführbarkeit ist verfassungsrechtlich notwendig. Doch bereits bei den kostenlosen Tests vor Weihnachten platzen die Kapazitäten der Bundesländer aus allen Nähten.
In der Steiermark bildete sich am Montag 100 Meter lange Warteschlangen. In Niederösterreich hieß es am Montag auf der Registrierungs-Seite www.testung.at: „DANKE, die Anmeldung ist beendet, die vorhandenen Kapazitäten sind ausgeschöpft.“ 35.000 Menschen haben sich angemeldet, 21 Teststraßen stehen zur Verfügung und das Bundesheer hat seinen Einsatz aufgestockt. Zum Einordnen: Niederösterreich hat mehr als 1,6 Millionen Einwohner, die sich potenziell freitesten wollen.
In Oberösterreich sind die Testeinrichtungen überlaufen, daher wurde am Sonntag angekündigt, drei weitere Teststellen einzurichten. In Wien kam es für jene, die mit dem Auto zur Teststation Austria Center kamen, zu Staus und längeren Wartezeiten.
„Das sprengt alles“
„Wenn wirklich 100 Prozent der Bevölkerung innerhalb von drei Tagen kommen, sprengt das alles – zumindest in Kärnten“, sagt Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser zu Kontrast.
Auch in Wien ist man skeptisch, dass es genug Kapazitäten gibt, um alle Wienerinnen und Wiener innerhalb von zwei bis drei Tagen zu testen. Wien hat bis 21. Dezember insgesamt eine Million Tests durchgeführt – das sind 37,1% aller Tests in Österreich. Damit sich alle Wienerinnen und Wiener frei testen können, müssten doppelt so viele Tests in weniger als einer Woche durchgeführt werden. Das sei nicht realistisch. „Wollen wir alle an ein bis zwei Tagen testen, brauchen wir mehr Soldaten im Testeinsatz als das österreichische Bundesheer hat“. Heißt es aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrates Peter Hacker.
Bis 7.1. sind rund 90.000 Termine vergeben. Doch um die ganze Stadt durchzutesten, bräuchte Wien bei maximalen Kapazitäten mindestens 10 Tage, das geht sich in der Phase des Freitestens nicht aus, sagt ein Sprecher von Hacker.
Durch Tests kann falsche Sicherheit entstehen
Kärnten wird die Testkapazitäten wie beim ersten Massentest jedenfalls maximal hochfahren, versichert der Landeshauptmann. Dennoch warnt Kaiser vor unbeabsichtigten Folgen der Tests:
„Man muss schon aufpassen, dass die Regierung nicht Evidenzen über Bord wirft, nur um irgendetwas zu tun. Ein negativer Antigen-Test ist eine Momentaufnahme, die für 24 Stunden gilt. Wenn die Tests dann mehrere Tage gültig sind, besteht jedenfalls die Gefahr, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt“, so Kaiser.
Auch Spitzenmediziner Weiss sieht die Gefahr, dass weniger Vorsicht in Folge eines negativen Tests auch zu mehr Ansteckungen führen könnte. „Eine höhere Zahl an Neuinfektion hebe die relativ geringe Zahl an positiv Herausgefilterten wieder mehr als auf. Die Nutzen-Risiko-Bewertung stimmt einfach nicht“, betonte der Spitzenmediziner.
Test-Zwang könnte Impfbereitschaft schwächen
„Regelmäßige Tests sind wichtig und sinnvoll, aber indirekte Zwangstests sind der falsche Weg“, kritisiert SPÖ-Chefin Rendi-Wagner. Auch die Neos sind kritisch, die FPÖ kündigt wegen der Zwangstests einen Misstrauensantrag gegen die Regierung an.
„Die Bevölkerung hat das Vertrauen ins Krisenmanagement der Regierung verloren. Mit Testzwang baut man kein Vertrauen auf. Vertrauen ist aber die Basis für eine hohe Impfbereitschaft“, sagt Rendi-Wagner.
Auch Kärntens Landeshauptmann Kaiser befürchtet, „mit dem leisen Zwang wird die Regierung nicht entscheidend zur Impfbereitschaft beitragen.“ Kaiser setzt große Hoffnung in die Impfung und bittet die Regierung um eine offensive Impfkampagne, in der Fragen beantwortet und auch Langzeitstudien präsentiert werden.“ Jetzt brauche es klare Kommunikation und Aufklärung.
„Fast 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind Zecken geimpft, das sollte auch bei der Corona-Impfung das Ziel sein – doch dazu braucht es eine gute Impfkampagne“.
Das wird laut Kaiser entscheidend dafür sein, ob wir die Pandemie langsam wieder in den Griff bekommen./ Patricia Huber /kontrast. at
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