Warnung vor der Delta-Variante
Laut dem Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, laufen wir Gefahr, die Fehler des vergangenen Sommers exakt zu wiederholen. Die Regierung hätte auch damals gedacht, der Virus sei einfach verschwunden. Der einzige Unterschied ist derzeit nur der, dass es nun Impfstoffe gibt.
Vor allem angesichts der Delta-Variante des Coronavirus sei das wichtiger denn je – denn bei dieser Variante brauche es für einen effektiven Schutz das vollständig erfüllte Impfschema, so der Ärztekammerpräsident. Derzeit habe aber fast die Hälfte der impfbaren Bevölkerung noch nicht einmal einen Stich erhalten hat und sei völlig ungeimpft. „Das Impftempo muss dringend erhöht werden und die Organisation muss verbessert werden“, so Szekeres. Er könne auch nicht verstehen, warum Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schon jetzt eine Million Impfdosen an das Ausland verschenke.
Derzeit gebe es in den neun Bundesländern neun unterschiedliche Impfstrategien und unterschiedliche Tempi. „Daher hinken einzelne Bundesländer bei der Durchimpfungsrate nach – beispielsweise Wien, wo man offensichtlich großes Misstrauen gegen die eigenen Hausärztinnen und Hausärzte hegt. Anders ist die mangelnde Versorgung der niedergelassenen Ärzte, die ihre riesige Impfbereitschaft jederzeit unter Beweis gestellt haben, nicht zu erklären“, sagte Szekeres.
Die aktuellen Öffnungen seien zu begrüßen – „sie sind ein Zeichen für die Erfolge, die wir gemeinsam im Kampf gegen die Pandemie erreicht haben, und die Bevölkerung hat sich diese Erleichterungen verdient“. „Aber wenn wir keine Strategie hinter den Öffnungen verfolgen, dann kehrt der Lockdown schneller zurück, als wir uns aktuell vorstellen können“, warnte Szekeres.
Fehlende PCR-Tests machen Lage unübersichtlich
Wie schnell die ansteckendere und wohl gefährlichere Delta-Variante in Österreich auf dem Vormarsch ist, kann die heimische Ampelkommission allerdings noch nicht einschätzen. Einer der Gründe dafür ist, dass die verlässlichen PCR-Tests großflächig nur in Wien eingesetzt werden.
Wie aus dem internen der APA vorliegenden Protokoll der Kommission hervorgeht, wurden in Wien zuletzt 20.000 PCR-Tests je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt, während es im nächstfolgenden Bundesland Niederösterreich gerade einmal 1.559 waren. Das hat nicht nur deshalb Bedeutung, weil die PCR-Tests wesentlich verlässlicher sind als Antigen-Tests, sondern weil sie auch Basis für die Sequenzierungen sind, mit denen man die Varianten feststellt.
Delta-Variante in rund sechs Prozent der Neuinfektionen
Derzeit geht man in der Kommission davon aus, dass mehr als sechs Prozent der Neuinfektionen auf die Delta-Variante entfallen. Diese Zahl könnte überschätzt, aber auch unterschätzt sein, und zwar für alle Bundesländer außer Wien. Wien deshalb nicht, weil eben viele PCR-Tests gemacht würden, vor allem mit der Aktion „Alles gurgelt“. In der Bundeshauptstadt wiederum erkennt man indes eine Verdoppelung der Delta-Fälle. Bei der AGES sieht man keinen Grund, dass das in den übrigen Ländern anders sein sollte. Allerdings gibt es auch Stimmen in der Kommission, die meinen, die Antigen-Tests würden reichen, weil bei positiven Befunden ohnehin mittels PCR nachgetestet wird.
Dass Test nicht gleich Test ist, hat sich jüngst bei einem Cluster im Bezirk Oberwart im Burgenland gezeigt, wie der “orf.at” berichtete. Hier war ein Nasenvorhof-Schultest als Eintrittstest in ein Nachtlokal verwendet worden. Diskutiert wurde daher in der Ampelkommission, in Settings, wo sich primär junge, ungeimpfte Personen aufhalten, nur PCR-Gurgeltests als Eintrittstests zuzulassen. Chief Medical Officer Katharina Reich schlägt zumindest vor, mit Testbussen zu operieren, um zeitnahe Ergebnisse von Antigen-Tests zu generieren.
Testangebot teils schon zurückgeschraubt
Wiewohl auch in der Kommission die Gefahr einer baldigen neuen Delta-basierten Welle gesehen wird, erwägt man gar eine Systemumstellung in Richtung nur noch stichprobenartiger Tests. Vertreter des Gesundheitsministeriums verweisen darauf, dass das Testangebot in manchen Bundesländern mangels Interesse der Bevölkerung und hohen Personalaufwands schon jetzt reduziert wird und man daher überlegen muss, welches Angebot jedenfalls aufrechterhalten werden müsse.
Es solle verhindert werden, das Testangebot zu weit zu reduzieren. Die Vertretung Wiens in der Kommission warnt eindringlich davor, das Angebot zurückzuschrauben. Schließlich bereite man sich derzeit auf die Verdrängung durch eine neue Variante vor, deren Auswirkungen beträchtlich sein könnten.
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