Warum gibt Österreich falsche Corona-Infos an MigrantInnen?

Der staatliche „Österreichische Integrationsfonds“ ist in der Corona-Krise zentral verantwortlich für Infos an Menschen mit Migrationshintergrund. Das Problem: Der ÖIF verbreitet Falsch-Informationen und behauptet etwa, dass Spazieren nicht erlaubt wäre.

Warum gibt Österreich falsche Corona-Infos an MigrantInnen?

VON: MICHAEL BONVALOT

„Sie dürfen das Haus nur verlassen, um arbeiten zu gehen oder für dringende Einkäufe oder Arztbesuche.

Bei Verstößen drohen hohe Strafen!“ Diese Nachricht verschickt der staatliche „Österreichische Integrationsfonds“ (ÖIF) an Menschen mit Migrationshintergrund.

Doch diese Behauptungen sind schlichtweg falsch.

Der „Österreichische Integrationsfonds“ (ÖIF) ist die zentrale Stelle der Republik Österreich, wenn es um den Kontakt mit Menschen mit Migrationshintergrund geht.

Auch in der Corona-Krise spielt der ÖIF somit eine wesentliche Rolle: Gegenwärtig gibt es laut dem Fonds „Fakten und Sicherheitsbestimmungen“ zum Corona-Virus in 16 Sprachen. Auf seiner Homepage rühmt sich der ÖIF, bereits am 23. März mit Corona-Informationen via „SMS, Mail, online oder per Telefon“ bereits über 170.000 Menschen erreicht zu haben.

Das Problem: Die „Fakten“ des ÖIF stimmen einfach nicht.

Und dabei geht es nicht um die Aussendungen des ÖIF. Es gäbe „nur drei Gründe, das Haus zu verlassen“, behauptet der ÖIF noch am 11. April auch auf seiner Homepage: Um zur Arbeit zu gehen, für dringend notwendige Besorgungen und um um anderen Menschen zu helfen. „Öffentliche Pätze“ seien geschlossen. Das alles ist schlicht falsch.

Will der ÖIF verhindern, dass Menschen mit Migrationshintergrund spazieren gehen?

Die entsprechende Verordnung des Gesundheitsministeriums, die bereits seit 15. März in Kraft ist (hier die aktuelle, etwas veränderte Version) legt eindeutig fest, welche Bestimmungen es zum Betreten öffentlicher Orte gibt. Und es sind fünf Ausnahmen, wonach das erlaubt ist und nicht drei, wie der ÖIF gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund falsch behauptet.

Der entscheidende Unterschied: In der Verordnung des Ministerium ist explizit festgehalten, dass es auch erlaubt ist, „öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren [zu] betreten“ – wenn dabei ein Mindestabstand gegenüber anderen Personen von mindestens einem Meter eingehalten wird.

Und genau diese entscheidende Information – also dass Spazieren gehen ebenfalls erlaubt ist – bekommen Menschen mit Migrationshintergrund vom ÖIF nicht.

Für sie gibt es vom ÖIF die falsche Information, dass das Verlassen der Wohnung ausschließlich für dringende Einkäufe, den Job oder zur Hilfe für andere erlaubt sei.

Bereits am 11. April hatte ich dazu eine Anfrage an den ÖIF geschickt mit Bitte um eine Antwort bis 14. April um 13h – eine Antwort traf bis dahin nicht ein.

Doch der entsprechende Text auf der Page wurde auf einmal stillschweigend um das Spazieren gehen ergänzt.

Am 14. April um 15.03h trifft dann doch eine Antwort des ÖIF ein.

„Im Sinne der Eindämmung des Coronavirus“ würde der Fokus des ÖIF darauf liegen, „jene Bestimmungen hervorzuheben, die effektiv zur raschen Reduktion der Infektionen beitragen“, so Sprecherin Aleksandra Klepic.

Die Informationen des ÖIF würden sich an der „Lebensrealität der Hauptzielgruppen des ÖIF“ orientieren.

Warum die Hauptzielgruppen des ÖIF offenbar nicht spazieren gehen sollen – und warum der Text stillschweigend geändert wurde – dazu gibt es keine Erläuterungen des ÖIF.

Warum der ÖIF falsche Informationen verbreitet, wird damit ebenfalls nicht beantwortet.

Der ÖIF würde einen Überblick über „offizielle Informationen des Bundeskanzleramts, des Gesundheitsministeriums und der öffentlichen Informationsseite österreich.gv.at“ liefern, so Klepic. Doch in diesen Informationen finden sich die tatsachenwidrigen Behauptungen des ÖIF eben genau nicht.

Ebenfalls (und weiterhin) auf der Page des ÖIF zu finden ist die falsche Behauptung, dass „öffentliche Plätze“ geschlossen worden seien.

Woher der ÖIF diese Behauptung nimmt, ist unklar. Auf meine diesbezügliche Frage hat der ÖIF nicht geantwortet.

ÖIF behauptet, Moscheen müssten schließen. Es stimmt nicht.

Der ÖIF informiert Menschen mit Migrationshintergrund auch per Video. Und dort gehen die Falschinformationen munter weiter, die Videos sind weiter online.

Es seit wichtig, „dass wir uns alle an die Vorgaben der österreichischen Bundesregierung halten“, heißt es in untenstehendem Video ab Minute 1:32. Diese angeblichen „Vorgaben“ werden dann aufgezählt. „Lokale, Restaurants, Geschäfte und Moscheen bleiben geschlossen.“ Und: „An keinem öffentlichen Ort sollen sich mehr als fünf Menschen auf einmal treffen.“

Doch: Es gibt schlicht keine Verordnung, wonach sich an öffentlichen Orten nicht mehr als fünf Menschen treffen dürfen – solange der Abstand eingehalten wird bzw. wenn es sich um Menschen aus dem gemeinsamen Haushalt handelt.

Ebenfalls keine Verordnung gibt es, wonach explizit und ausschließlich Moscheen geschlossen werden müssten – Kirchen, Tempel und andere religiösen Kultorten sind im Video interessanterweise überhaupt nicht erwähnt.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) zeigt sich entsprechend verwundert: „Eine Vorgabe der Bundesregierung mit diesem Wortlaut gibt es nicht“, so Sprecherin Valerie Mussa.

Es sei den Religionsgemeinschaften von der Bundesregierung vielmehr selbst überlassen worden, „wie strikt die jeweiligen Maßnahmen formuliert werden“, erklärt mir Mussa. Woher der ÖIF seine Behauptungen habe, könne sie nicht sagen.

Dass der ÖIF hier speziell Moscheen ins Visier nimmt – und zusätzlich noch falsch behauptet, dass diese geschlossen werden müssten – hinterlässt jedenfalls einen mindestens unangenehmen Beigeschmack.

Er wird dadurch nicht besser, dass das Video mit dem christlichen Gruß „Grüß Gott“ beginnt. Auch auf meine diesbezüglichen Fragen hat der ÖIF nicht geantwortet.

Schwarzes Netzwerk ÖIF

Der ÖIF gilt als zutiefst ÖVP-nah – kein Zufall also, dass der Fonds bis vor Kurzem im Außenministerium angesiedelt war, wo Kanzler Sebastian Kurz zwischen 2013 und 2017 Minister war.

Die Zusammenarbeit dürfte dabei für Kurz gut gelaufen sein: So hatte der ÖIF unter anderem immer wieder Schulbesuche für Kurz organisiert.

Der ÖVP-nahe ÖIF war bereits in der Vergangenheit auch von Skandalen geprägt.

So soll der Exchef des ÖIF dessen Immobilienbestand unter Zuhilfenahme von Scheinanboten um rund sieben Millionen Euro zu billig an Personen verkauft haben, die dem ÖIF nahestanden.

Auf der Liste der Beschuldigten stand auch ein früherer Kabinettsmitarbeiter von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP). Die Ermittlungen in der Causa laufen.

ÖIF und Ministerium schweigen

Aktuell gehört der ÖIF zum Aufgabenbereich von Integrationministerin Susanne Raab von der ÖVP.

Auch im Ministerium habe ich um eine Stellungnahme ersucht, von dort erfolgte keine Antwort.

Schweigen also sowohl vom Ministerium wie vom ÖIF zu den konkreten Fragen.

Es ist sinnvoll, dass Menschen mit Migrationshintergrund Informationen zum Corona-Virus bekommen.

Doch dass eine staatliche Einrichtung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund falsch behauptet, dass es nicht erlaubt wäre, spazieren zu gehen, dass sie fälschlich mit hohen Strafen droht und dass sie falsch behauptet, dass ausschließlich Moscheen geschlossen sein müssten – das ist ein Skandal. bonvalot.net

Yayınlama: 15.04.2020
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