Was wäre, wenn es in Österreich keine Unternehmer mit türkischen Wurzeln gäbe?
| Adem Hüyük
Die seit über 60 Jahren in Österreich lebenden Migranten mit türkischen Wurzeln begannen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, sich eine dauerhafte Existenz aufzubauen und sich von der Utopie einer Rückkehr in die Türkei zu verabschieden. Bis 1995 eröffneten sie in den Großstädten kleine Lebensmittelgeschäfte, die mit Kleintransportern Grundnahrungsmittel in ländliche Gebiete lieferten, in denen türkischstämmige Familien lebten. Darüber hinaus versorgten sie die Gemeinschaft mit türkischen Filmen auf VHS-Kassetten und hielten so die kulturellen Bindungen aufrecht.
Von kleinen Geschäften zu großen Handelszentren
Die türkischstämmigen Migranten entwickelten sich von Lebensmittelhändlern in Nebengebäuden von Moscheen bis hin zur dominierenden Kraft im Großmarkt Wien, dem größten Handelszentrum des Landes. Da Sprachbarrieren und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt den Zugang zu den gewünschten Berufen erschwerten, entschlossen sich viele Migranten, ihre eigenen Unternehmen zu gründen, um wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen.
Während die erste Generation noch an eine Rückkehr in die Türkei dachte, fand diese Vorstellung bei der zweiten Generation keinen Anklang mehr. Die dritte Generation hingegen investierte ihr Kapital zunehmend in den österreichischen Markt und überzeugte ihre Eltern und Großeltern davon, dass die Türkei nur noch ein Urlaubsziel sei. Durch gegenseitige Unterstützung innerhalb der Familien und Gemeinschaften wuchsen viele kleine Unternehmen und erweiterten ihr Kundenportfolio.
Widerstand gegen monopolistische Konzerne
Besonders in den Branchen Gastronomie, Lebensmittelhandel, Logistik, Bauwesen und Dienstleistungen behaupteten sich türkischstämmige Unternehmer erfolgreich gegen große Kapitalgruppen. Während deutsche Handelsketten seit den 2000er Jahren den österreichischen Markt dominierten und lokale Märkte wie Adeg und Konsum verdrängten, hielten türkische Supermärkte stand.
Ein bemerkenswerter Erfolg der türkischstämmigen Unternehmer zeigt sich darin, dass große Supermarktketten heute vermehrt türkische Produkte in ihr Sortiment aufnehmen. Obwohl diese Ketten einige Produkte günstiger anbieten, bleiben viele türkischstämmige Verbraucher ihren eigenen Märkten treu und leisten damit unbewusst Widerstand gegen die Monopolisierung.
Dieser Erfolg unterstreicht die bedeutende Rolle, die türkische Migranten in der österreichischen Wirtschaft spielen.
40 % der Wiener Unternehmer haben Migrationshintergrund
Laut der Wirtschaftskammer Österreich sind von rund 119.000 Selbstständigen fast ein Drittel Unternehmensinhaber. Besonders in Wien haben etwa 40 % der 125.000 Unternehmer einen Migrationshintergrund. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei 30 %.
Eine Studie des Instituts für Unternehmertum an der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt, dass Migranten in vielen Ländern, darunter auch Österreich, häufiger Unternehmen gründen als die einheimische Bevölkerung.
Laut der Statistik Austria haben rund 21 % der 390.000 Selbstständigen in Österreich einen Migrationshintergrund, wobei 18 % zur ersten Generation gehören.
Daten der Wirtschaftsagentur Wien belegen, dass die Zahl der nicht-österreichischen Unternehmer rapide steigt. Seit 2008 wächst die Zahl der selbstständigen Unternehmer ohne österreichische Staatsbürgerschaft in Wien dreimal schneller als die der österreichischen Unternehmer.
Trotz struktureller und individueller Diskriminierung können Migranten Erfolge verzeichnen.
Das erste Hindernis für Migranten im Berufsleben ist oft ihr Nachname. Besonders Türken und Araber sind stärker betroffen, während Migranten christlicher Herkunft aufgrund ihrer Namen seltener auffallen.
Obwohl Migranten häufig Schwierigkeiten beim Zugang zu Kapital haben, zeigt eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien, dass die Wahrscheinlichkeit einer Unternehmensgründung bei Menschen, die aus einem anderen Land migrieren und ein neues Leben beginnen, höher ist. Migration wirkt demnach wie ein Selektionsmechanismus.
Zwischen 2008 und 2020 stieg die Zahl der Selbstständigen mit Migrationshintergrund in Wien um 70 % – von 22.000 auf 37.000 – während die Zahl der selbstständigen Österreicher nahezu unverändert blieb.
Betrachtet man die ethnische Herkunft der Unternehmer, sind die meisten aus der Slowakei, gefolgt von der Türkei, Rumänien und Deutschland.
Objektiv betrachtet, haben Migranten bei der Unternehmensgründung mehr Hürden zu überwinden als Einheimische.
Denn sie verfügen oft über weniger finanzielle Kenntnisse, haben aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse eingeschränkten Zugang zu Informationen und kämpfen mit begrenzten finanziellen Ressourcen. Viele Experten sind der Meinung, dass die hohe Selbstständigenquote unter Migranten auch auf eine gewisse Notwendigkeit zurückzuführen ist.
Was wäre, wenn es keine türkischstämmigen Unternehmer gäbe?
Die türkischstämmigen Unternehmer spielen eine wichtige Rolle in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur Österreichs. Ohne sie gäbe es spürbare Veränderungen in mehreren Sektoren.
Gerichte wie Döner, Kebap, türkische Süßspeisen und andere kulinarische Spezialitäten wären in Österreich weniger verbreitet. Hunderte türkische Restaurants und Fast-Food-Betriebe würden fehlen, was das gastronomische Angebot einschränken würde. Die Österreicher hätten möglicherweise keinen Döner als Fast-Food-Alternative, und ihre Essgewohnheiten wären anders geprägt.
Türkische Unternehmer dominieren insbesondere den Lebensmittelhandel, Bäckereien und die Textilbranche. Ohne ihre Geschäfte gäbe es deutlich weniger Produkte und Dienstleistungen für Migranten-Communities. Auch die Konkurrenz im Lebensmittelsektor wäre geringer, was möglicherweise zu höheren Preisen führen würde.
Zudem sichern türkische Unternehmen Tausende Arbeitsplätze. Ohne sie müssten viele Menschen in anderen Branchen Arbeit suchen, was die Arbeitslosenquote geringfügig erhöhen könnte. Gleichzeitig würde die kulturelle Vielfalt und der Wettbewerb im österreichischen Arbeitsmarkt abnehmen.
Darüber hinaus leisten türkische Unternehmer durch Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge einen wesentlichen Beitrag zur österreichischen Wirtschaft. Ihre Geschäftstätigkeit schafft neue Märkte und belebt die Wirtschaft. Ohne sie könnte das Wirtschaftswachstum geringfügig gedämpft werden.
Auch die kulturelle Vielfalt würde leiden: Türkische Feste, Veranstaltungen und Gemeinschaftszentren wären weniger präsent. Zudem gäbe es weniger türkische Cafés und soziale Treffpunkte, was insbesondere für Migranten die soziale Interaktion erschweren könnte.
Insgesamt wäre Österreich ohne türkische Unternehmer wirtschaftlich etwas stagnierender und kulturell weniger vielfältig. Zwar hat Österreich eine starke Wirtschaft, doch die Beiträge der türkischen Unternehmer sind nicht zu unterschätzen.
Die Selbstständigkeit von Migranten trägt nicht nur zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit bei, sondern auch zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.
Die Auswirkungen davon sind besonders in Städten wie Wien sichtbar.
In der nächsten Untersuchung werden wir uns mit der sozio-kulturellen Struktur der erfolgreichen türkischstämmigen Unternehmer in Österreich befassen und die Gründe für das Ungleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und kulturellem Fortschritt analysieren. | ©DerVirgül