Offener Brief von Organisationen der KZ-Überlebenden
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!
Am vergangenen Wochenende waren wir in Oberösterreich, um der Befreiung vor 74 Jahren zu gedenken – und jener 100.000 Menschen, die alleine im KZ Mauthausen und seinen Außenlagern von den Nationalsozialisten ermordet worden sind. Wie jedes Jahr hat man uns freundlich und respektvoll aufgenommen. Dafür möchten wir Ihnen, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, ausdrücklich danken!
Unser Dank umfasst natürlich auch das große Engagement des Landes Oberösterreich bei der Errichtung und dem Betrieb des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim. Wir anerkennen diese Schritte sehr.
Gestatten Sie uns aber, auch auf Entwicklungen hinzuweisen, die uns mit großer Sorge, ja Bestürzung erfüllen.
Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist in Österreich während der letzten Jahre stark gestiegen. Dabei liegt Oberösterreich an der Spitze der Bundesländer. Besonders beunruhigt uns, dass viele fremdenfeindliche und neonazistische Gewaltverbrechen begangen wurden, die bis heute nicht aufgeklärt sind: darunter drei große Schändungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen mit antisemitischen und rassistischen Hassparolen, zwei Anschläge auf Flüchtlingsheime und die Schändung des jüdischen Friedhofs in Linz.
Angesichts solcher Fakten wirken die Beteuerungen, es handle sich nur um Einzeltäter und es werde ohnehin alles gegen diese Kriminalität unternommen, wenig glaubwürdig. Im Übrigen hat das Massaker an muslimischen Gläubigen in Neuseeland gezeigt, welches Leid auch ein Einzeltäter anrichten kann.
Rechtsextremismus ist aber nicht auf strafrechtlich relevante Handlungen beschränkt. Seit Anfang 2013 haben Medien über insgesamt 39 rechtsextreme Vorfälle berichtet, für die Politiker und Funktionäre der FPÖ Oberösterreich verantwortlich sind. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Personen aus der dritten oder vierten Reihe dieser Partei.
Unter anderem hat der Sicherheitslandesrat der von Ihnen geführten Regierung in einer Rede bei der rechtsextremen AfD Thüringen Ratschläge für die Machtübernahme gegeben und alle demokratischen Institutionen scharf attackiert. Dieser Landesrat gehört auch einer deutschnationalen Burschenschaft an, die ein Geheimkonzert mit einem Neonazi-Liedermacher durchgeführt hat.
Ihr FPÖ-Stellvertreter wiederum gehört einer deutschnationalen Verbindung an, in der schon das NSDAP-Idol Horst Wessel Mitglied war. Mehr noch: Ihr Stellvertreter hat in einer Festrede einen NSDAP-Politiker und SS-Brigadeführer geehrt. Und er hat das mittlerweile eingestellte antisemitische Hetzblatt „Aula“ durch Inserate und Artikel unterstützt. In diesem Blatt wurden Mauthausen-Überlebende als „Landplage“ und „Massenmörder“ verleumdet.
Kürzlich waren die engen Verbindungen zwischen der Linzer FPÖ-Spitze und den rechtsextremen „Identitären“ Gegenstand einer öffentlichen Debatte. Diese Verbindungen laufen über eine deutschnationale Burschenschaft, die schon durch die Verwendung einer nur geringfügig veränderten NSDAP-Propagandagrafik aufgefallen ist.
Um ein letztes, besonders aktuelles Beispiel anzuführen: Derzeit kandidiert ein FPÖ-Politiker bei der Bürgermeisterwahl einer oberösterreichischen Stadt. Er scheint im Internet als Kontaktperson einer deutschnationalen Burschenschaft auf, die sich als ihr Lied ausgerechnet das „Treuelied“ der SS gewählt hat. Der „Waffenspruch“ dieser Burschenschaft lautet: „Was gibt es hier? Deutsche Hiebe!“
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!
Unter uns sind viele, die deutsche Hiebe am eigenen Leib verspürt haben. Oft über Jahre. Wir sind fassungslos, dass in Oberösterreich ein angeblich demokratischer Politiker ein wichtiges Amt anstrebt, dessen Verbindung ein SS-Lied singt und mit deutschen Hieben droht. Und wir sind fassungslos, dass der Rechtsextremismus in Oberösterreich bis in die Landesregierung reicht.
Dieser unbequemen Wahrheit werden Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, auf die Dauer nicht ausweichen können. Auch nicht, indem Sie statt vom sehr realen Rechtsextremismus in Oberösterreich nur von einem unbestimmten „Extremismus“ sprechen.
Wir freuen uns, dass Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, jedes Jahr in Mauthausen und Hartheim der NS-Opfer gedenken. Wir ersuchen Sie aber dringend, sich an diesem Gedenken auch in Ihrer praktischen Politik zu orientieren: Bitte ziehen Sie einen klaren Trennstrich zum Rechtsextremismus!
Nein, es ist nicht Ihre Schuld, dass es in Oberösterreich rechtsextreme Burschenschaften gibt und diese sogar in der Landesregierung vertreten sind. Doch niemand zwingt Sie, mit solchen Kräften durch ein „Arbeitsübereinkommen“ verbündet zu sein. Und niemand zwingt Sie, den Dachverband der Burschenschaften, dessen vorsitzende Verbindung sich „Ostmark“ nennt, zu subventionieren – noch dazu enorm hoch. Erst recht zwingt Sie niemand, den Burschenbundball zu besuchen. Im Ausschuss dieses Balls findet sich bezeichnenderweise auch der oben erwähnte Anhänger deutscher Hiebe.
Mit freundlichen Grüßen
Internationales Mauthausen Komitee / Comité International de Mauthausen
Guy Dockendorf, Präsident
Andreas Baumgartner, Generalsekretär
Internationales Ravensbrück Komitee
Jeanine Bochat, Vizepräsidentin
Internationales Dachau Komitee / Comité International de Dachau
Jean-Michel Thomas, Präsident
Benoît Darmont, Vizepräsident
Amicale Internationale de Neuengamme
Jean-Michel Gaussot, Präsident
Uta Kühl, Schatzmeisterin
Internationales Buchenwald-Dora Komitee / Comité International Buchenwald-Dora
Dominique Durand, Präsident
Agnes Triebel, Generalsekretärin
Internationales Sachsenhausen Komitee
Andreas Meyer, Vizepräsident
F.I.R. (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer/
International Federation of Resistant Fighters)
Filippo Giuffrida, Vizepräsident
Netzwerk deutsche Lagergemeinschaften
Vera Dehle-Thälmann, Koordinatorin